Stand November 2009
Gefährliches Indien
Schreie, Gefechtslärm – dann wieder unheimliche Ruhe. Über dem Kinosaal hängt die Angst, eine ganz andere Angst, als ursprünglich im Film beabsichtigt war. Aus  der James-Bond-Fiktion von „Ein Quantum Trost“ war binnen weniger Minuten reale Todesangst geworden.
„Wir wollten in Bombay den neuen James-Bond-Film ansehen. Und plötzlich war alles anders. Wir waren in dem Kino gefangen. Draußen ging alles drunter und drüber“, erinnert sich Josephine Wandel an diese traumatischen Tage. Die damals 19-jährige Abiturientin aus Kleinmachnow musste zwei Tage in Todesangst leben. „Die Terroristen hielten gezielt Ausschau nach hellhäutigen Touristen. Es hätte jeden von uns treffen können. In den Medien hieß es ja immer, die Angreifer wären nur in den beiden Luxushotels und in der jüdischen Synagoge gewesen. Das stimmt aber nicht. Nach unseren Beobachtungen hatten sie sich an vielen Stellen der Stadt verschanzt“, so Josephine Wandel.
Zwei Tage Todesangst
Zwei Tage mussten die Kinobesucher warten. Dann war es den indischen Sicherheitskräften erst gelungen, die Angreifer aus den meisten Gebieten der westindischen Wirtschaftsmetropole mit ihren 13 Millionen Einwohnern zu drängen. Bis die Hotels schließlich durch eine Elitetruppe befreit werden konnten, dauerte es 50 Stunden. Fast 200 Menschen fielen den Anschlägen muslimischer Terroristen zum Opfer. Darunter waren viele Ausländer. Über 600 Menschen waren damals verletzt worden.
Als Josephine Wandel wieder das Sonnenlicht erblickte, war es wie eine Wiedergeburt. Dennoch hielt die Unsicherheit an: „Die deutsche Vertretung hatte uns zwar angeboten, dass wir bei ihnen unterkommen könnten. Allerdings sahen sie keine Möglichkeit, uns zu holen, da sie selbst nicht heraus konnten!“
Um ein Haar wäre die Kleinmachnowerin den Invasoren buchstäblich in die Hände gelaufen: „Eigentlich war ein Ausflug zu einer der Stadt vorgelagerten Insel geplant. Dann wären wir ziemlich sicher den Terroristen begegnet, die  genau  zu diesem Zeitpunkt von der Anlegestelle her eingedrungen waren. Dann aber entschlossen wir uns fürs Kino, was uns wahrscheinlich das Leben rettete.“
Helferin in der Wüste
Wenn Josephine Wandel an diese Tage im November 2008 denkt, läuft ihr immer noch sichtbar ein Schauer über den Rücken. Dabei war die Sightseeing-Tour durch Indien ja als erholsamer Abschluss eines sehr anstrengenden Aufenthalts als freiwillige Helferin in der abgelegenen Thar-Wüste im indischen Bundesstaat Rajasthan gedacht. „Unser Lager lag direkt in der an Pakistan grenzenden Wüste. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Jugendlichen aus Europa, Amerika und Australien, die alle ihre Freizeit für eine gute Sache einsetzen wollten. Ich hatte mich ab dem zehnten Lebensjahr für orientalischen Tanz begeistert. Später kam die Faszination von ‚Bollywood‘ dazu. Ich war fest entschlossen, die Geheimnisse Indiens vor Ort zu erkunden. Allerdings wollte ich nicht einfach als Tourist reisen, sondern richtig in das Land eintauchen und dabei etwas Sinnvolles machen“,  berichtet Josephine Wandel. „In Kleinmachnow hätte mir das damals niemand zugetraut, dass ich das wirklich mache.“
Falsche Vorbereitung
Doch die Kleinmachnowerin war fest entschlossen, sich in das Abenteuer zu stürzen. Im Internet stieß sie auf das „American Institute For
Foreign Study“, kurz AIFS, das in Deutschland eine Niederlassung hat. Es fördert seit 40 Jahren weltweit den
Jugendaustausch auf vielen Gebieten. Dazu gehören Au Pair Stellen und die Vermittlung von Jugendlichen in
soziale Projekte in Übersee. Allerdings ist die Vorbereitung für so anstrengende und nervlich aufreibende Einsätze alles andere als fundiert. Es gibt nicht mal einen Eignungs- oder Gesundheits-Test, genommen wird offenbar jeder und jede: „Wir erfuhren erst vor Ort so richtig, um was es geht. Schnell stellte sich heraus, dass unsere Vorbereitungen in Deutschland nicht ideal war. Angefangen von den Impfungen über die Reisemedizin bis zur Kleidung war ich von vielen falschen Voraussetzungen ausgegangen.“
Privat nur auf der Toilette
Bei dem Projekt ging es um die Betreuung von Nomadenkindern. Auf dem Gelände gab es eine Kleinkinderstation, einen Kindergarten und eine Schule. Die Helfer sollten die Kinder betreuen, den Eltern minimalste Hygiene-Vorstellungen übermitteln und sie von der Nützlichkeit von Bildung für ihre Kinder überzeugen. „Das Problem dabei ist, dass bei den Nomaden Frauen und Kinder keinen sozialen Stellenwert haben und nur zum Arbeiten da sind. Diese Unterdrückung mit zu erleben, hat mich sehr schockiert.“
Es gab natürlich eine ganze Menge praktischer Probleme: „Es war am Tag über 40 Grad heiß. Wir wohnten in einfachen Lehmhütten. Es gab keine persönliche Rückzugsmöglichkeit, bestenfalls auf der Toilette war man mal für sich. Wasser war Mangelware, an Dusche kaum zu denken. Nachts wurde es schrecklich kalt, sicher nahe am Gefrierpunkt.“
Von westlicher Kleidung nahm Josephine Wandel schnell Abschied: „Das kam gar nicht gut an. Mir blieb nichts anderes, als bei der Arbeit Landestracht zu tragen.“ Ihr Klarblick war ebenfalls ein wenig getrübt. „Ich hatte eine etwas auffällige Designerbrille. Die Kinder rissen sie mir ständig vom Kopf, so dass ich schließlich verzichtete, sie zu tragen. Zum Glück bin ich nur ein wenig kurzsichtig.“
Schwierige Verständigung
Jeder Tag war ein Abenteuer: „Es kamen selten die gleichen Kinder, da die Nomaden ja durch die Gegend ziehen. Sie bewegen sich mit Kamelen durch die Wüste, leben in Zelten. Nachmittags hatten wir die Aufgabe, zu ihnen zu gehen und sie für Schule und Hygiene zu gewinnen. Abgesehen von den Widerständen war das wegen der Verständigungsprobleme schwierig: Ich konnte zwar mittlerweile gut englisch, doch die Nomaden haben ihren eigenen Dialekt, den nicht mal unsere Betreuer im Lager sprachen. Gängige Sprachen in der Gegend sind Hindi und Urdu, doch das konnten weder wir noch sprachen es die Nomaden. Ein weiteres Problem war, das man mit Zeichensprache sehr vorsichtig sein musste, weil Bewegungen dort oft eine andere Bedeutung haben und man deshalb schnell Missverständnisse produzieren kann.“
Ständige Gesundheitsprobleme
Zu der schwierigen Umgebung und der aufreibenden Tätigkeit kam, dass die Helfer vielfach körperlich angeschlagen waren: „Ich vertrage kein scharfes Essen und hatte fast die ganze Zeit Magen- und Darmprobleme. Das schwächt natürlich.“
Dennoch hatte die Kleinmachnowerin nach dem aufreibenden Einsatz von Indien längst die Nase nicht voll, sondern wollte den Subkontinent noch näher kennenlernen. „Meine Mutter fiel aus allen Wolken, als ich ankündigte, weitere vier Wochen bleiben zu wollen.“ Nachträglich ist Josephine Wandel froh, einen breiteren Eindruck von dem Land gewonnen zu haben. Allerdings, dass sie in den blutigsten Terroranschlag geraten würde, hätte sie nicht gedacht.
Kulturschock in Deutschland
Zurück in Deutschland musste die Kleinmachnowerin erst mal einen Kulturschock verdauen: „In Indien ist alles extrem: Das Wetter, die Menschen, das Essen. In Deutschland ist alles so furchtbar geordnet. Am gewöhnungsbedürftigsten war das Straßenbild: Plötzlich sind keine Kühe auf der Fahrbahn zu sehen und die Autos fahren geordnet, anstatt sich  wild hupend durch den Verkehr zu schlagen. Dass Verkehrsregeln wirklich beachtet werden, daran muss man sich erst mal wieder gewöhnen.“
Gerade hat die mutige Kleinmachnowerin eine Lehre zur Physiotherapeutin begonnen. Sie freut sich, die Stelle bekommen zu haben. Der Wermutstropfen dabei ist: „Für einen weiteren Indien-Aufenthalt wird mir dadurch die Zeit fehlen, Dabei möchte ich unbedingt wieder hin. Für das Land empfinde ich mittlerweile immer stärkere Heimatgefühle“, sinniert sie in Mamas Neubauwohnung im Zehlendorfer Damm.
Infos:
Tel. 03 32 03/8 46 95
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