Stand Mai 2011
Zwei Bundespräsidenten in Aktion
Der Ablauf war wie im Film: Vor dem kleinen Reihenhaus hält eine schwarze verdunkelte Limousine.
Heraus steigen Männer in dunklen Anzügen, postieren sich vor der Türe, drücken die Klingel.
Ein Déjà-Vu? Joachim Raupach hatte ähnliches schon  einmal erlebt, und das war gar nicht lustig gewesen. Damals waren die Besucher von der Staatssicherheit der DDR. Sie hatten etliche „Fragen“ an den Lehrer aus Werder.
Im Visier der Stasi
„Ihre Tochter wurde bei versuchter Republikflucht gefasst. Wir haben einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung der Kindsmutter!“
Noch heute wundert sich
Raupach über seine schnelle Reaktion nach dem ersten Schock: „Tut mir leid, ich kann sie nicht herein lassen. Es ist meine Wohnung, nicht die der Kindsmutter.“ Eine Spitzfindigkeit der Behörden erwies sich als Rettungsanker: „Die Wohnung lief auf mich, weil sie uns zugewiesen wurde, kurz bevor wir heirateten.“
Erstaunlicherweise ließen sich die Stasi-Mitarbeiter von dem Argument überzeugen und zogen unverrichteter Dinge wieder ab. „Als wir dann selbst das Zimmer meiner Tochter untersuchten, fanden wir
Karten, wo sie ihren Fluchtweg exakt eingezeichnet hatte. Sie wollte während des Urlaubs in Ungarn die Drau als Grenzfluss zum damaligen Jugoslawien durchschwimmen und wurde gefasst.
Wären die Unterlagen bei uns gefunden worden, hätte man uns als Mitwisser inhaftiert.“
Vom Stasi-Knast in den Westen
Christel Raupach wurde zu
einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, „die sie teilweise mit einer Kindsmörderin im berüchtigten Gefängnis in Hoheneck in Sachsen absitzen musste“, so Raupach weiter. Er setzte sich nach dem ersten Schock kurzerhand in seinen Wartburg, den er mit Erdbeerpflücken in Werder verdient hatte und wandte sich an den DDR-Anwalt Wolfgang Vogel. „Seine Kanzlei war in der Berliner Reiler Straße 4 in Friedrichsfelde, nicht weit vom Tierpark“, so Raupach.
Vogel galt als Mittler zwischen BRD und DDR, der den Freikauf von Gefangenen durch den Westen organisierte. „Ich bot ihm Geld für seine Hilfe an, aber der meinte, ‚diese Leute wollen unser Geld nicht‘, sondern Devisen“.
Nach einem Jahr erhielt Lehrer Raupach einen Anruf: „Hallo, hier ist Christel, ich bin in Westberlin, man hat mich abgeschoben.“
Verstehen Sie Spaß?
Dieses Erlebnis muss dem Rentner mit dem bewegten Leben durch den Kopf geschossen sein, als er im Oktober 2010 erneut hoch-offiziellen Besuch erhielt. Doch diesmal wollte ihn der Staat nicht in die Mangel nehmen, sondern auszeichnen: „Die Bundesrepublik Deutschland möchte Sie für Ihre Verdienste mit dem Bundesverdienstkreuz ehren. Wir sind Vertreter der Staatskanzlei Potsdam und wollen uns vergewissern, dass sie den Orden annehmen und zur feierlichen Übergabe zum Bundespräsidenten kommen. Sie können zwei Begleiter mitnehmen, von denen wir die genauen Angaben aus dem Personalausweis benötigen.“ Joachim Raupach war perplex: „Sind Sie von ‚Verstehen Sie Spaß‘, bin ich jetzt im Fernsehen?“
Doch die Einladung war echt! Damit gehört Joachim Raupach, der Mann, der in der DDR anzuecken wusste und danach als langjähriger Kreistagspräsident entscheidende Weichen für die Entwicklung von Werder und der Region stellte, zu den ganz wenigen in der Baumblütenstadt, die diese Ehre für sich in Anspruch nehmen können. „Ich weiß heute noch nicht, wer mich vorgeschlagen hat. War es Matthias Platzeck?“
Zwei Präsidenten in Aktion
Joachim Raupach kann auf sein Bundesverdienstkreuz ganz besonders stolz sein, denn für ihn „arbeiteten“ gleich zwei deutsche Staatsoberhäupter. „Die Urkunde ist von Horst Köhler unterzeichnet. Überreicht bekam ich den Orden im Schloss Bellevue vom Bundespräsidenten Christian Wulff.“
Joachim Raupach ist 1940 in Breslau geboren. Der Vater war Arzt. Die Familie floh in den letzten Kriegstagen nach Werder, wo eine Tante lebte. „Diese Flucht fand unter furchtbarsten Strapazen und Opfern statt.“
Aus dem kleinen Jungen wurde in Werder ein begeisterter Sportler und erfolgreicher Zehnkämpfer. „Ich wollte damals unbedingt Sportjournalist werden.“ Allerdings lernte man am Helmholtz-Gymnasium in Potsdam, wo Raupach 1959 sein Abitur erfolgreich ablegte, Russisch als Fremdsprache. „Fürs Journalistik-Studium wäre mehr an Fremdsprachen wichtig. Also beschloss ich, Lehrer für Deutsch und Geschichte zu werden.“
Wie alle seines Jahrgangs ging Raupach als Freiwilliger zur NVA. „Die Wehrpflicht wurde erst 1962 eingeführt.“ Damit war der Studienplatz gesichert. „Ich wurde einen Monat vor dem Mauerbau aus der NVA entlassen und bin heute noch froh, daran keinen Anteil gehabt zu haben.“
Mittlerweile fühlte sich Joachim Raupach in der Baumblütenstadt zu Hause und wollte hier und nirgendwo anders als Lehrer tätig sein. Man kann sich vorstellen, dass der Prorektor der
Pädagogischen Hochschule Potsdam nicht schlecht staunte, als der durchtrainierte muskelbepackte Sportler ihm wutentbrannt erklärte, dass er sich nicht wie vorgesehen in ein abgelegenes Dorf „delegieren“ lasse, während seine Kommilitonen mit SED-Parteibuch die schönen Stellen im Berliner Raum bekamen. Die Folge des Muskelspiels war „Bewährung in der Produktion“ im Braunkohlekombinat Schwarze Pumpe.
Karneval als Ventil
Schließlich klappte es doch mit der Lehrerstelle in Werder. Fast wäre Joachim Raupach sogar Kreisschulrat geworden, doch in letzter
Minute war es das fehlende Parteibuch, das die bereits angesetzte Berufung platzen ließ. Ebenso verhinderte diese mangelnde „Staatsnähe“, dass Raupach ins Stadtparlament kommen konnte.
Doch der sprachgewandte und charismatische Lehrer hatte längst ein Ventil für seine Kritik gefunden, im Karnevalsclub Werder, der 2011 sein 50. Jubiläum feiern kann. Raupach war fasziniert von der Farbenpracht, den Kostümen und Gardetänzen und vor allem der Möglichkeit, in Büttenreden vieles zu sagen, was man sonst in der DDR besser für sich behielt.
Lehrer Raupach wurde bereits in der zweiten Saison 1962 Prinz, führt seit der sechsten Saison regelmäßig als Zeremoniemeister und Büttenredner durchs Programm. „Ich bin damit der ausdauerndste Zeremoniemeister weit und breit“, strahlt der Bundesverdienstkreuzträger mit schelmischem Lächeln.
Treffen mit Herbert Wehner
Noch vor der Wende schaffte Raupach in den Westen zu kommen, legal! 1986 erhielt er die Erlaubnis, nach Bonn zur Goldenen Hochzeit seiner Tante zu reisen. Ehefrau Ute Raupach, mit der er nach dem Krebstod seiner ersten Frau in zweiter Ehe verheiratet ist und die er noch von seiner eigenen Einschulung in Werder her kennt, musste allerdings „als Pfand“ daheim bleiben. Dennoch ist ihm dieser Aufenthalt in starker Erinnerung, denn hier gelang es ihm, den nach dem Ausscheiden aus der
Politik ab 1983 stark zurückgezogen lebenden SPD-Frontmann Herbert Wehner und dessen Frau Greta Burmester persönlich kennenzulernen. „Meine Tante wohnte in ihrer Nachbarschaft.“
Aus dem Stand in den Kreistag
In der Wendezeit 1990 überlegte Joachim Raupach nicht lange und trat in die SPD ein. Geworben hatten ihn der
heutige Europa-Abgeordnete und frühere Landrat Norbert Glante und andere Pioniere der Ost-SPD. Nun war der Weg in die Parlamente frei. Zehn Jahre lang, von 1994 bis 2004 war Raupach Kreistagspräsident. Er kämpfte zusammen mit Werders Bürgermeister Werner Große für Werder als Kreisstadt. „Wir konnten ein entsprechendes Urteil vor dem Landesverfassungsgericht erringen, aber leider gab es die Möglichkeit, dass der Landtag das wieder kippen konnte.“
Gymnasium statt Gesamtschule
Dafür war Raupach bei einem anderen Lieblingsprojekt erfolgreich, gegen den Willen vieler seiner Parteifreunde: „Ich war mit meiner Klasse zu Besuch bei einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, in der Opel-Stadt Groß Gera bei Rüsselsheim. Die Verhältnisse dort fanden wir so schrecklich, dass es mir echt gereicht hat. Deshalb kämpfte ich fürs Gymnasium, obwohl man das in der SPD anders sah.“
Sag mir was...
In seiner politischen Karriere lernte der Lehrer aus der Blütenstadt viele Blüten aus der Politik kennen. Zu den Personen, die ihn faszinierten, gehören die Ex-Bundespräsidenten Johannes Rau und Roman Herzog sowie Ignatz Bubis vom Zentralrat der Juden. Brandenburgs Ministerpräsidenten Manfred Stolpe hat er als stets spontan in Erinnerung: „Er war immer etwas spärlich vorbereitet, wenn er auf Veranstaltungen kam und bat dann: ‚Sag mir mal, was man noch sagen könnte.“
Mit fünf Kindern und zwölf Enkeln ist der agile Rentner gut ausgelastet, sollte man meinen. Dennoch ist das Interview mit ihm gar nicht so einfach, denn das Telefon scheint im Dauerstress mit Klingeln zu sein. Freundeskreis Bismarckhöhe, Karnevalsclub und andere Verpflichtungen lassen oft nur wenig Zeit für Hobbys wie Fahrradtouren durch die Region, den Garten und Schwimmen im Plessower See.
Dabei ist selbst für den eingeschworenen Fan seiner Wahlheimat die Region immer wieder voller interessanter Überraschungen: „Kürzlich habe ich in Töplitz einen Weinberg gefunden mit sage und schreibe 18 000 Rebstöcken. Wir in Werder haben gerade mal doppelt soviele.“
Infos: Tel. 0 33 27/4 45 53
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