Stand: Februar 2009
 
Von Paris nach Wildau
Star-Dirigentin für Zupfmusikanten
Nun stand sie hier, am Bahnhof Zoo, im tristen Berliner Morgengrauen: Völlig allein in der fremden Stadt, in einem fremden Land. Ihr bisheriges Leben trug sie rechts und links, sorgsam verpackt, in zwei Koffern. Ihr größter Schatz: Ein Zettelchen mit der Adresse einer ihr persönlich unbekannten Person.  
Sophie Seuris, die zierliche Musikerin, die in der Heimat Frankreich bereits einen Namen hatte, war wild entschlossen zu einem neuen Leben. Nun war sie also wirklich mit dem Nachtzug von
Paris in Berlin angekommen, um sich in der deutschen Hauptstadt mit Haut und Haar ins Abenteuer Europa zu stürzen! Man schrieb das Jahr 2001.

Bangen vor der Klingel
Doch wie würde sie aufgenommen werden? Würde sie die erhoffte Mitwohnmöglichkeit bei der Bekannten einer entfernten Bekannten bekommen? Würde sie jemals eine Chance finden, als Französin in der Hauptstadt der Deutschen auf der Bühne zu stehen? Viele Fragezeichen, die immer wieder hin und her überlegt wurden. Aber was soll’s.
Je mehr sich das Taxi der Adresse im sanierungsbedürftigen Multi-Kulti Stadtteil
Berlin-Wedding näherte, umso mulmiger wurde es der Musikerin. Dann stand sie vor der bezeichneten Türe, die Klingel „lud ein“, würde überhaupt jemand öffnen? Und gleich die Riesen-Überraschung: Ein herzlicher Empfang und ein tolles Angebot: „Du brauchst nicht zur Untermiete einziehen. Es wird im Haus gerade eine Zweiraum-Wohnung frei, weil mein
Bekannter in eine größere Wohnung darüber zieht!“

Ein Star ist geboren!
Harry Timmermann, der Mann mit den übergangsweise zwei Wohnungen im gleichen Haus, war von der neuen Aspirantin auf seine bisherigen Räume sofort begeistert: „Klar kannst Du einziehen, die Miete ist noch für einen Monat bezahlt.“
Tage später begeisterte Sophie Seuris das Berliner Publikum – als neue Sängerin in Timmermanns Klezmer-Combo „Harry’s Freilach“. Ein Star war geboren! Zwei Wohnungen brauchten die beiden übrigens nicht lange – der Hafen der Ehe wurde schnell angesteuert. Aus Sophie Seuris wurde Sophie Timmermann.

Wildauer Zupfmusikanten
Heute leitet die renommierte Musikerin die „Wildauer Zupfmusikanten“. Ein Grund: „Ich bin fasziniert von der Musik, die in der DDR geschaffen wurde. Wir spielen viele Stücke aus dieser Zeit und wollen so einen Teil dazu beitragen, dass diese herrlichen Sachen nicht in Vergessenheit geraten!“
Das ungewöhnliche Orchester wurde 1951 vom Lehrer Herbert Müller gegründet. Er brachte den kleinen Wildauern die richtigen Griffe an
Gitarre und Mandoline bei. „Heute sind noch Mitglieder dabei, die damals angefangen haben“, freut sich Sophie Timmermann über das breite
Altersspektrum der 22 Freizeit-Musiker: „Die jüngsten sind 30, die ältesten über 70 Jahre alt!“
Dazu kommt eine Kindergruppe, denn Nachwuchs ist der Mutter zweier Jungs im Alter von vier und sechs
Jahren sehr wichtig.

Pferde durchgegangen
Sophie Timmermann bringt französischen Charme, eine ganz andere Sichtweise mit viel Neugier auf ihre neue Wunschheimat Deutschland und internationale Erfahrung mit. Sie stammt aus dem nordfranzösischen Maubeuge, absolvierte eine klassische Ausbildung, leitete zwölf Jahre lang die städtische Musikschule in der südfranzösischen Metropole Lyon und wurde plötzlich von dem
„Fieber nach guter Musik“ befallen. „Mir ist beim Reiten im Gelände das Pferd durchgegangen, ich hatte eine komplizierte Armverletzung und war zu einer Zwangspause verurteilt. So kam ich zum Nachdenken über mein bisheriges Leben und wusste, dass sich was ändern muss!“ Zugleich erinnerte sie sich ihrer Fremdsprachenkenntnisse. „Ich hatte Deutsch gelernt und wollte es nicht so verkümmern lassen.“ Ihr Traum war, Europa hautnah in der quirligen Nachwende-Metropole Berlin zu erleben und gleichzeitig herauszufinden, „warum ein deutscher Chor so ganz anders klingt als ein französischer, selbst wenn es das gleiche Stück ist“.

Mit „Arte“ nach Berlin
Der deutsch-französische Sender „Arte“ bestärkt sie in ihrer Sehnsucht nach Berlin: „Es ist die einzige Stadt Europas, wo es gleich zwei Opernhäuser gibt. Dabei ist Berlin eine Großstadt, wo es viel Grün und sogar viele Seen gibt! Kultur und Natur liegen in Berlin so nah zusammen wie sonst nirgends.“
Doch vor dem großen Schritt wollte Sophie Seuris erst mal ihre Großstadt-Tauglichkeit testen. Sie zog um, ins große Paris. Schon das erste Vorsingen im
renommierten Chor des „Orchestre de Paris“ war
erfolgreich. Es ist eines der größten und weltweit angesehensten Orchester und hat in seiner Geschichte manche Verbindung mit Berlin erlebt: So standen Herbert von Karajan und später Daniel Barenboim an der Spitze. Der leitet seit 1992 die Berliner Staatsoper unter den Linden.
Sophie Seuris „folgte“ ihm erst neun Jahre später, nachdem sie in Paris das lukrative und prestigeträchtige Angebot abgelehnt hatte, auf Dauer die Leitung des Kinderchors von „Notre
Dame“ zu übernehmen. Vorher hatte sie weltweit bei Tourneen des Chors Erfahrung in anderen Ländern
gesammelt.

Klezmer statt Klassik
In Berlin verliebte sie sich spontan in den schillernden Klarinettisten Harry Timmermann. Der Güstrower ist in Braunschweig aufgewachsen, studierte in Berlin Germanistik, war Radiomitarbeiter beim SFB und schlug sich zeitweise als Nachtwächter durch. Per Zufall stieß er auf eine CD der Klezmer-Ikone Giora Feidman. „Da sah ich,
welche bisher ungeahnten Möglichkeiten eine Klarinette haben kann!“ Timmermann wurde mit seiner Klezmer-Combo 1992 Vorreiter einer Bewegung, die europaweit den lange vergessenen Weisen osteuropäischer Juden zu einer ganz neuen Popularität und Weiterentwicklung verhalf.

Musik für Heiner Müller
Er war mit Harry’s Freilach im Kreuzberger „Café Mora“ gefragt, wo Literaten wie Heiner Müller Stammgast waren, hatte mehrmals wöchentlich Auftritte in den „Hackeschen Höfen“ und tingelte in ganz Deutschland, vor allem aber in der Region, durch Säle und Kulturhäuser. Harry Timmermann war also bereits ein Star, als die hübsche Französin Sophie Seuris 2001 in seine „alte Wohnung“ ziehen sollte.

Familienglück in Wildau
Das Paar zog es es an den grünen Rand von Berlin. Harry Timmermanns Eltern hatten Wildau als Wahlheimat entdeckt. Die junge Familie, inzwischen war das Paar verheiratet, zog hinterher. Als nach Giora Felix zwei Jahre später Max Mathies geboren wurde, wurde es im Röthegrund zu eng. Die Familie zog ins
Eigenheim hart an der Grenze zu Wildau – in Zeuthen. Doch die Verbindung blieb.
Sophie Timmermann leitet mit viel Engagement die Wildauer Zupfmusikanten. Sie singt jüdische Lieder bei gemeinsamen Auftritten mit Harry’s Freilach und ist nun dabei, mit einem eigenen Chanson-Programm in ganz neue Sphären vorzustoßen.  
Tel. 01 73/4 76 66 54
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Es handelt sich hier um einen Archiv-Eintrag.
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