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Warum ist Deutschlands Ausnahme-Sportlerin eigentlich nicht im Guinness-Buch der Rekorde?
Seit dem Ende der DDR war die Bernauerin bei allen Olympischen Spielen vertreten, kann auf regelmäßige Weltmeistertitel verweisen und ist mit 54 Jahren gelenkiger als die allermeisten Menschen, deren Oma sie sein könnte.
„Auf die Idee mit dem Guinness-Buch ist einfach noch niemand gekommen“, schmunzelt Marianne Buggenhagen, Bernaus Goldmädchen. Im Sommer 2007 konnte sie sogar eine für sie ganz ungewöhnliche Goldmedaille erringen. Bei den Weltmeisterschaften in Taipeh gewann sie Gold im Kugelstoßen, im Diskuswerfen und auch im Speerwurf, „obwohl das eigentlich gar nicht meine Disziplin ist. Beim Speerwurf werden ganz andere Muskeln und Gelenke beansprucht als bei meinen Stammdisziplinen Kugelstoßen und Diskus. Ich hatte für Speerwurf gar nicht richtig trainiert“, verrät die viel gefeierte Bernauerin.
Mit 23 in den Rollstuhl
Marianne Buggenhagen will es nun bei den Paralympics in Peking noch mal der ganzen Welt zeigen: „Ich möchte Gold gewinnen und dann mit 55 Jahren nach fünf Olympia-Teilnahmen meinen Abschied vom Sport nehmen“, kündigt sie an. Die gelernte Krankenschwester und begeisterte Volleyballerin lebt seit ihrem 23. Lebensjahr mit dem Rollstuhl. Bandscheibenvorfälle und eine Entzündung an der Wirbelsäule hatten dazu geführt. Doch die Bernauerin ließ sich nie kleinkriegen. „Ich habe alles an Sport gemacht, was im Rollstuhl möglich ist. Dazu gehörten Tischtennis, Basketball und sogar Marathon“, blickt sie zurück.
In der DDR konnte sie von 1977 bis 1990 unglaubliche 130 nationale Titel erringen. Gleich bei der ersten WM 1990 in Holland wurde sie Weltmeisterin im Kugelstoßen, Speerwerfen und Mehrkampf und errang eine Silbermedaille im Diskuswerfen. Seit 1992 nahm sie regelmäßig an den Paralympics teil. Gleich das erste Mal, 1992 in Barcelona, überzeugte sie mit Goldmedaillen in allen vier Disziplinen. Ein Jahr später errang sie mit ihrer Mannschaft Silber bei den Basketball-Europameisterschaften.
Olympisches Chaos in den USA
Mit Schaudern erinnert sie sich an die „chaotischen Spiele in Atlanta. Die Betreuung war furchtbar, zu essen gab es nur fettes Zeug à la Schnellrestaurant“, erinnert sie sich an die Olympischen Spiele im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“. Dennoch schaffte sie dort souverän Gold im Kugelstoßen und Diskuswerfen sowie Bronze im Speerwurf.
„Mit 55 nehme ich nun an meinen fünften Olympischen Spielen teil“, freut sie sich über das Zahlenspiel. „Die meisten meiner Mitbewerber sind in der Regel zehn bis 15 Jahre jünger!“
Mehr Zeit für Garten und Freunde
Dann möchte die ungewöhnlichste Sportlerin Deutschlands endlich mehr Zeit haben für ihr Eigenheim am Rande der Stadt und den Garten, den sie zusammen mit Ehemann Jörg Buggenhagen weitgehend ohne zusätzliche Unterstützung betreut. Der ehemalige Fußballer ist ebenfalls auf den Rollstuhl angewiesen und managt seine Frau.
„Aus dem Rollstuhl sind einfache Tätigkeiten wie Umgraben äußerst Kräfte zehrend. Dabei gerate selbst ich an meine körperlichen Grenzen“, berichtet sie.
Doch wie im Sport, was Marianne Buggenhagen anfasst, das trägt Früchte: „Erdbeeren, Äpfel, Pflaumen und Kirschen wachsen bei uns so gut, dass wir sie zu Marmelade verarbeiten müssen!“ Der Kräutergarten trägt seinen Teil bei, wenn die Ausnahme-Sportlerin mit Wurzeln in Ueckermünde an der Ostsee „Fisch in allen Varianten“ zubereitet.
Endlich leben!
Mit dem Abschied vom Leistungssport nach den Paralympics 2008 in Peking möchte die Ausnahmesportlerin ihre längst vergriffene Autobiografie aus dem Jahr 2000 um die fehlenden acht Jahre erweitern und neu herausgeben. „Ganz wichtig ist mir, endlich mehr Zeit für Freunde zu haben. Bisher war es kaum möglich, Freundschaften zu pflegen, da ich rund ums Jahr fast jeden Tag im Training bin! Ich freue mich darauf, mal abends im Biergarten zu sitzen und nicht jeden Tag um 20 Uhr ins Bett gehen zu müssen, um fürs Training fit zu sein!“
Marianne Buggenhagen ist Patin und Namensgeberin für zwei Schulen für Körperbehinderte. Eine davon ist in Berlin-Buch, die andere in Darlingerode in Sachsen-Anhalt in der Nachbarschaft von Wernigerode. Überall ist die Freude groß, wenn die Namenspatin zu Besuch kommt. Das will sie nun ebenfalls öfters machen.
Unüberwindbare Schlaglochpiste
Bernau bekommt von Marianne Buggenhagen viel Lob als „weitgehend barrierefreie Stadt“. Probleme bereitet ihr dabei ausgerechnet ihre eigene Straße: Die hat so große Schlaglöcher, dass Marianne und Jörg Buggenhagen es schwer haben, sich dort schon bei normalem Wetter fortzubewegen. „Wenn es aber regnet, haben wir gar keine Chance, die Straße zu überqueren. Wir würden in den Pfützen stecken bleiben“, bedauern sie einen „kleinen Schönheitsfehler mit großer Wirkung“. Nur gut, dass in der Garage ein behindertengerechtes Auto steht!
Schließlich ist Marianne Buggenhagen gerne unterwegs: „Das Reisen und das Zusammengehörigkeitsgefühl waren für mich das Schönste am Sport. Das werde ich vermissen.“ Dafür hat sie schon neue Pläne. So will sie in Bernau ein Basketball-Team für Rollstuhlfahrer ins Leben rufen und sucht nach einer Halle, um Rollstuhlfahrer zum Mobilitätstraining einzuladen: „Wenn man plötzlich auf dieses Hilfsmittel angewiesen ist, hat man viele Probleme, sich damit eigenständig fortzubewegen. Dafür sind Muskeln gefragt, die dafür nicht gebildet wurden“, weiß sie.
Noch wichtiger ist die Kraft, die sie Körperbehinderten durch ihr Beispiel und ihre Ausstrahlung vermittelt: „Was ich im Rollstuhl erreicht habe, hätte ich ohne nie erzielt!“ Eben ein klarer Fall fürs „Guinness-Buch der Rekorde“!
Infos: www.marianne-buggenhagen.de
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