Stand Dezember 2012
Aufrecht durch zwei Diktaturen
Ein Haus voller Kunst, wer würde sich das nicht wünschen? Viele hüten ihre Kunstschätze für sich ganz privat. Eine Zernsdorfer Familie will genau das Gegenteil: Sie wünscht sich, dass jeder in den Genuss der Werke kommt, die ebenso exemplarisch wie persönlich einen Einblick in die Kunst und die Wirren des letzten Jahrhunderts geben.
Gabriele Winter und ihr Ehemann, der pensionierte Tierarzt Dr. Jürgen Winter, haben es nicht leicht in ihrem Einfamilienhaus in Zernsdorf.
Es steht auf einem früheren Gartengrundstück und quillt schon fast über vor Kunst.  
Bilder über Bilder
Alle Wände sind voller Bilder, sogar im Schlafzimmer ist kaum Platz für Bett und Nachtschrank. Die gute Stube ist rundum von Regalen gesäumt. Da finden sich ungerahmte Gemälde ebenso wie Handschriften und Literatur.
Familie Winter wohnt allerdings eher unfreiwillig mit so vielen Schätzen. Sie sind keine manischen Sammler, sondern möchten das Erbe des Malers Erwin Hahs, des Vaters von Gabriele Winter, hochhalten.
Mit ihm hatte Zernsdorf seit 1956 einen europaweit geschätzten Künstler und Kunstprofessor im Dorf, dessen
Arbeiten in privaten und
öffentlichen Sammlungen zu
finden sind.
Dazu gehört die Kunstsammlung des Deutschen Bundestags, die Nationalgalerie Berlin und die Stiftung Moritzburg in Halle. „Viele seiner wichtigen Bilder sehe ich immer häufiger auf Auktionen im Internet“, so Dr. Jürgen Winter. Während die Saalestadt Halle, wo Erwin Hahs auf der berühmten Kunstschule „Burg Giebichenstein“ wirkte, den Maler zunehmend für sich entdeckt, bedauert
Familie Winter, dass sich die Stadt Königs Wusterhausen damit noch schwer tut.
Ungebeugt
„Immerhin wurde nun Straßen nach dem Künstlerehepaar benannt“, berichtet Tochter Gabriele Winter. Sie wird bei der Nachlass-Pflege überaus engagiert von ihrem Ehemann Dr. Jürgen Winter unterstützt. Den lässt das tragische Leben von Erwin Hahs nicht mehr los. „Er wurde zum Opfer zweier Diktaturen, da
er niemals bereit war, seine Überzeugung zu verleugnen.“
Dieser aufrechte Gang fasziniert Dr. Winter auch deswegen, weil er selbst ebenfalls in Opposition zur Obrigkeit stand und deshalb auf eine wissenschaftliche Karriere verzichtete.
Weil er sich nicht unterordnen wollte, hatte er seinen Platz in der Pharmaforschung aufgegeben und bis 1989 für ein
Seniorenheim in Pankow gearbeitet.
Dort war Dr. Winter für seine menschliche zuvorkommende Art so beliebt, dass er in die Senatsverwaltung geholt wurde, bis er vor sieben Jahren in Pension ging. Damit ging es ihm zumindest besser als seinem „Idol“.
Bilder für Walter Gropius
Erwin Hahs wurde 1887 in Berlin geboren. „Sein Vater hatte ein Bauunternehmen und war im Zuge der Krise nach dem Boom der Gründerzeit in wirtschaftliche Probleme gekommen, da er ähnlich wie es heute das Problem oft ist, auf vielen Rechnungen sitzen blieb“, blickt Dr. Jürgen Winter zurück. Hahs ließ sich nach der Realschule als Dekorationsmaler ausbilden und fand dadurch Gefallen an der Kunst. Er bildete sich weiter, studierte von 1911 bis 1914 in der Malklasse des Kunstgewerbemuseums Berlin und bekam Kontakt zum Bauhaus-Architekten Walter Gropius, der ihn mit einem Wandbild für einen Tanzsaal am Kurfürstendamm und anschließend für ein Wand- und Deckengemälde seines Bürogebäudes für die Kölner Werkbundausstellung beauftragte.
Vom Patrioten zum Pazifisten
Der erste Weltkrieg, zu dem sich Erwin Hahs freiwillig gemeldet hatte, sorgte für einen radikalen Wandel. Aus dem Patrioten wurde ein Pazifist. Walter Gropius freute sich über seine Rückkehr und ließ ihn sogar Räume in seiner Wohnung mit Wandbildern ausstatten. Bald darauf wird Hahs als Leiter der Malklasse an die berühmte Burg Giebichenstein bei Halle an der Saale berufen. Es ist eine Zeit des Aufbruchs. Hahs wird von
seinen Schülern als offen,
immer zum Gespräch bereit und als Lehrer, mit dem man auch persönliche Probleme besprechen kann, beschrieben. „Der Umgang mit jungen Leuten war ihm eine Freude“, weiß Tochter Gabriele Hahs.
Autolack auf der Leinwand
Als Maler steht er dem Expressionismus nahe. Er fühlt die neue Zeit voraus, in der technische Entwicklungen in den Alltag der Menschen mit einer Schnelligkeit und Kraft eindringen, die vorher kaum vorstellbar war. Plötzlich sieht man immer mehr Automobile auf den Straßen. Hahs nimmt diese Entwicklung auf, indem er neue Materialien wie Auto- und Industrielacke zusammen mit klassischen Farben in seinen Bilder mischt und damit Gestern und Heute vereint.
Der Zeit voraus
Er erkennt die Gefahr durch das aufkommende NS-Regime, greift Entwicklungen auf, vor denen andere noch lange die Augen verschließen. Bereits 1935 entsteht ein Bild „Konzentrationslager“, ein Thema, von dem viele Deutsche selbst bei Kriegsende nichts gewusst haben wollen.
Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits vom Lehrstuhl geschasst. Er wird als „entartet“ gebrandmarkt, die Nazis lassen seine Wandbilder zerstören. Halt gibt ihm seine Schülerin Iris Hahs-Hoffstetter, die er 1932 in zweiter Ehe geheiratet hatte. Er versucht mit der Kunst dem NS-Staat entgegenzuwirken, findet in Blumengemälden eine neue Möglichkeit des Ausdrucks. Beruflich kann er sich mit einem Restaurierungsauftrag in Österreich und ab 1942 als Zeichenlehrer in Stendal über Wasser halten.
Erneut verfemt
Dort wird er nach dem Krieg mit der Winckelmann-Medaille für sein Wirken ausgezeichnet. Er bekommt seinen Lehrstuhl auf Burg Giebichenstein zurück und wundert sich, den selben Weg nun zu gehen, der ihm von den Nazis verboten worden war. Doch die Freude sollte kurz sein. Die Welt von Erwin Hahs und dem, was die DDR als Kunst sehen will, lassen sich nicht auf eine Linie bringen. Hahs kritisiert, dass in der jungen DDR schon wieder Parteien gleichgeschaltet werden sollen, spürt, dass die Freiheit bedroht ist. Er ist Mitglied in der Gutachterkommission des Verbands Bildender Künstler, doch er kann und will den Mund nicht halten. Er kritisiert die Kulturpolitik, befürchtet, dass ein Weltkrieg droht. In der Folge wird er aus der Kommission ausgeschlossen und verliert erneut die Lehrbefugnis. Gerade mal sechs Jahre hatte Erwin Hahs nach seiner Rehabilitierung 1946 die Möglichkeit, an Ausstellungen, am Lehrbetrieb und am öffentlichen Leben teilzunehmen!
Die DDR stieg durch die
Bekämpfung seiner Bilder sichtlich in die Fußstapfen der Nazis. Wieder wurden Bilder von Hahs verfemt und zerstört, so sein Wandgemälde im Buna-Werk.
Das Haus der Tante
In Zeiten, wo ein Haus kein Gewinn, sondern eine Belastung ist, da der Staat darüber bestimmt, wer darin wohnen darf, bekommt Dieter Gräwe von seiner Tante in Zernsdorf deren Eigenheim angedient. Sie möchte, dass es in der Familie bleibt, doch Gräwe weiß, dass damit für ihn auf Lebenszeit finanzielle Belastungen in unüberschaubarer Höhe verbunden sein können. Er ist frisch verheiratet, mit Gundula Hahs, der 1936 geborenen Tochter von Iris Hahs-Hoffstetter und Erwin Hahs.
Nach längerem Überlegen entschließt sich Dieter Gräwe das Angebot anzunehmen. 1956 nimmt die junge Familie die Eltern zu sich, Erwin Hahs ist damals bereits fast 70 Jahre alt. Er wird im Dorf herzlich aufgenommen, findet schnell Anschluss an die Evangelische Kirchengemeinde.
Bleibendes Zeugnis ist das dreiteilige expressive Altarbild in der Friedhofskapelle.
Verliebt in Hahs-Tochter
Dr. Jürgen Winter ist „alt-eingesessener“ Zernsdorfer. Er hatte sich 1960 in die hübsche Hahs-Tochter Gabriele verliebt, die damals gerade 20 Jahre alt war. Er erinnert sich noch gut, wie er mit Herzklopfen an der Tür stand, um sich „offiziell“ vorzustellen: Hahs öffnete mit den freundlichen Worten „Na, da is er ja!“
Das Paar heiratete 1962, acht Jahre später starb Erwin Hahs. Er ist ebenso wie seine Ehefrau Iris Hahs-Hoffstetter, die 1986 starb, auf dem Friedhof von Zernsdorf begraben.
Sorge um den Nachlass  
Den Zernsdorfer Dr. Jürgen Winter lässt die Faszination über den aufrechten Schwiegervater, der zwei Diktaturen standhielt, ohne sich korrumpieren zu lassen, nicht mehr los. Er und seine Ehefrau sind fasziniert vom Nachlass, der sich in Bildern und Zeichnungen und in den vielfältigen Tagebuch-Aufzeichnungen ausdrückt. Alles zusammen ergibt ein
lebendiges Zeugnis vom letzten Jahrhundert, das es nun aufzuarbeiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen gelten würde.
„Dafür fehlt uns aus Altersgründen aber die Kraft,
das müsste wissenschaftlich
begleitet geschehen“, benennen Gabriele und Jürgen Winter ihre große Sorge.
Geburtstag ohne Feier  
2012 wäre der 125. Geburtstag von Erwin Hahs zu feiern gewesen. „Während es in der beruflichen Wirkungsstätte Halle und Stendal dazu eine Reihe von Aktivitäten gab, beschränkte sich die Stadt auf einen Presseartikel. Dagegen engagierte sich der Kulturverein mit einer Lesung. Der große Andrang macht Hoffnung, dass man endlich beginnt, sich an Erwin Hahs zu erinnern“, so Gabriele und Dr. Jürgen Winter. Bis zu einer Dauerausstellung ist es allerdings wohl noch ein weiter Weg. Margit Mach, Orts-Chronistin von Zernsdorf, hat die Bedeutung von Erwin Hahs und Iris Hahs-Hoffstetter dagegen längst erkannt.
Sie bietet im Internet unter www.Zernsdorf.de unter dem Unterpunkt „Chronik“ eine überaus beachtenswerte Hommage an das oft vergessene Künstler-Ehepaar.
Infos:
Tel. 0 33 75/20 46 26
www.Zernsdorf.de
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