Allein im Grauen

Überall Zerstörung, zerschossene Gebäude, kein menschliches Leben mehr! Und dann plötzlich, ein Licht: Wer irrt hier durch das Gelände? Kaum zu glauben, ein Mädchen. Blonder Pferdeschwanz zierliche Figur!„Na ja, wohl fühle ich mich hier bestimmt nicht. Da kommen einem schon so manche Gedanken. Besonders in der Nacht. Doch was soll man machen, Beruf ist Beruf!“ Die das sagt, das ist Nicole Hettwer, zarte 19 Jahre alt und gelernte Sozialpflegeassistentin. Doch statt Senioren im Altersheim zur Seite zu stehen, sitzt sie in einem improvisierten Wächterhäuschen, ohne Strom, ohne Gas, ohne Fernsehen, und lässt die Nacht im Schimmer einer Petroleonlampe an sich vorbeiziehen. Mitten im zerstörten Warschauer Ghetto, per Zeitmaschine zurückversetzt in die Terrorjahre 1943/44. Zu „danken“ hat sie diese Aufgabe einem der wichtigsten Regisseure. Roman Polanski, in Polen geboren, wurde mit Filmen wie Tanz der Vampire, Rosemaries Baby oder Chinatown weltberühmt. Er ist der einzige polnische Regisseur und einer der ganz wenigen europäischen Filmemacher der Nachkriegszeit, der sowohl in Hollywood als auch in Europa das Publikum begeisterte. In Jüterbog liess er für eine viertel Million Euro das Grauen in seiner Heimat nochmals auferstehen. Hier wurden Szenen für den neuen Film „Der Pianist“ gedreht. Im Mittelpunkt steht der Klaviervirtuose Wladyslaw Szpilman, den ein musikbegeisterter deutscher Offizier vor der Vernichtung im Warschauer Ghetto rettete. Bei den Dreharbeiten war sogar Kanzler Gerhard Schröder als Zuschauer zeitweise mit dabei. Polanski selbst war von Jüterbog so begeistert, dass er eifrig Mund-zu-Mund Propaganda machte. Und siehe da, mehrere Hollywood-Studios wollten die Kulisse weiter nutzen. Doch als das Grauen am 11. September mit der Zerstörung des World Trade Centers in New York alles übertraf, was man sich für Filme an Horror ausgedacht hatte, wurden Projekte, die von Gewalt handeln, erstmals auf Eis gelegt. Pech für den Besitzer des Geländes, die Brandenburgische Boden GmbH. „Sinnvolle Nutzung wäre entweder Abriss, dann könnten wir Einfamilienhäuser bauen, doch Abreisen kostet Geld. Vermieten als Filmkulisse wäre eine Variante, dafür fehlen uns jetzt aber die Interessenten, obwohl wir mit 600 Euro pro Tag unschlagbar günstig sind“, so Geschäftführer Peter Büttner und Michael Schröder, der „Film-Verantwortliche“ des Unternehmens. Also bleibt erst mal abzuwarten, ob es Fördemittel für den Abriss oder Interessenten für Filme geben wird. Bis dahin versieht Nicole Herwetter ihren gespenstischen Dienst, muss alle zwei Stunden, ausgestattet mit einer Taschenlampe, Schlüsselbund und ihrem schweren Feuerhaken als Selbstverteidigungswerkzeug ihre einsamen Rundgänge machen, durch Mauern, die das Grauen symbolisieren. Carmen Krickau

Bei den Dreharbeiten zu Polanskis Film „Der Pianist” ging es für die Jüterboger Feuerwehr ziemlich heiß her.

Es handelt sich hier um einen Archiv-Eintrag.
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