Hobby-Koch lädt ein – doch drei wollen ihr eigenes Süppchen kochen

Baby-Mangel macht
Bürgermeister Kopfzerbrechen

Als begeisterter Hobby-Koch liebt es Rüdersdorfs Bürgermeister, viele Gäste einzuladen und zu verwöhnen. Dennoch gibt es so manchen, der lieber seine eigene Suppe weiterkochen möchte.
Die Rede ist von den drei Amtsgemeinden Hennickendorf, Herzfelde und Lichtenow, die partout nicht, wie von Innenminister Jörg Schönbohm, CDU, gewünscht, zu Rüdersdorf kommen wollen. Hat Bürgermeister Wilfried Kroll dafür Verständnis? Wir baten ihn im Interview um seine Meinung zu dieser und anderen Fragen.

Sie wirken so nett und sympathisch. Warum wollen die drei
Gemeinden einfach nicht zu Ihnen?
Wilfried Kroll: „Zwischen der Realität der Leitlinien und den Vorstellungen der drei Gemeinden liegt leider eine große Kluft. Wir wollen die Auflösung des Amtes. Dass nun aber eine Zwangseingliederung der Gemeinden bei uns bevorsteht, ist traurig. Das bedeutet sicher einen schwierigen Start für die Zusammenarbeit, die ja dann stattfinden muss. Ich finde es bedauerlich, dass es nicht zu der vom Land
gewünschten freiwilligen Lösung kam. Mit den 2,4 Millionen Euro, die wir dann bekommen hätten, wären alle Gemeinden auf einen Schlag schuldenfrei geworden.“

Ist es nicht egal, ob wir ein Amt haben, von dem alle
Gemeinden verwaltet werden, oder ob wir eine Großgemeinde haben, die ja ebenfalls verwalten muss? Sie werden dann doch kaum weniger Personal benötigen?

Wilfried Kroll: „Das Amt arbeitet schon jetzt an der Grenze der Belastbarkeit der Mitarbeiter. Viele Stellen sind nicht besetzt, so dass wir weit unter dem angestrebten Schlüssel von 3,5 Mitarbeitern je 1000 Bürgern liegen. Tatsache ist aber, dass wir nun in vier Gemeinden jeweils Sitzungsgeld für Parlamente ausgeben, dass die Kämmerin sich mit vier Gemeindehaushalten und einem Amtshaushalt beschäftigen muss, dass wir einen Amtsausschuss haben, der ebenfalls tagt – das alles kostet Zeit, Geld und Energie und wäre in einer Großgemeinde nicht mehr nötig. Darin liegen Einsparpotenziale. Außerdem wären wir dann mit etwa 16300 Einwohner neben Strausberg größte Stadt im Landkreis. Als Mittelzentrum bekämen wir mehr Zuweisungen vom Land, davon würden alle Bürger profitieren.“

Offiziell nennt sich der Ort „Rüdersdorf bei Berlin“. Eine ziemliche sperrige Bezeichnung, die ohnehin niemand verwendet. Sich offiziell als Wurmfortsatz von Berlin zu sehen, das spricht zudem von wenig Selbstbewusstsein. Muss das sein?
Wilfried Kroll: „Nun ja, das ist historisch gewachsen. 1936 schlossen sich mehrere Gemeinden zum „Amt Rüdersdorf“, dem heutigen Ort zusammen. Damals wünschte man sich diese Bezeichnung. In der DDR hielt man das weniger hoch, aber danach wollte man eben an diese alten Wurzeln wieder anknüpfen. Außerdem gibt es ein Rüdersdorf bei Gera, da kann schon mal die Post in die verkehrte Richtung gehen!“

Rüdersdorf war seit Aufnahme des Kalkabbaus 1253
industriell geprägt. Will man weiter Industrieort bleiben, oder soll das Ruder herumgeworfen werden?
Wilfried Kroll: „Industrie und Gewerbe sind uns wichtig. Wir konnten sehr früh ein Gewerbegebiet schaffen und uns dadurch die Firmen aussuchen. Wir haben die genommen, die möglichst viele Arbeitsplätze auf möglichst kleiner Fläche schufen. Wir haben eines der ganz wenigen Gewerbegebiete in Ostdeutschland, wo nichts leer steht. Als zweites Standbein für die Zukunft sehen wir die Möglichkeit, für Wochend-Ausflügler und Touristen attraktiv zu werden.“

Wald, Seen, Natur – daran besteht kein Mangel. Doch die touristische Infrastruktur scheint etwas zu fehlen.
Wilfried Kroll: „Nun, wir haben den Museumspark der Baustoffindustrie, der eigentlich Museumspark der Baustoffindustrie der Gemeinde Rüdersdorf heißen müsste, weil wir für Unterhalt und Betrieb aufkommen und entsprechende Zuschüsse geben. Alt Rüdersdorf mit seiner Dorfkirche aus dem 13. Jahrhundert ist ebenfalls einen
Besuch wert. Wir haben Seen mit klarem Wasser, wo man Baden und Ausspannen kann. Was stimmt ist, dass Restaurants und Übernachtungsstätten zu wenig sind. Aber da haben wir als Gemeinde kaum Steuerungsmöglichkeiten.“

Wie sieht in Rüdersdorf die Bevölkerungsentwicklung aus?
Wilfried Kroll: „Wir haben eine sehr ungünstige Alterspyramide. 30 Prozent sind über 65 Jahre. Die Geburtenrate ist sehr gering. Letztes Jahr waren es 28 weibliche und 30 männliche Babies. Dieses Jahr bis Juni wurden zwölf Mädchen und acht Jungs geboren. Aufgrund dieses Trends mussten bereits vier Kindergärten und eine Grundschule geschlossen werden. Immerhin lebt man bei uns lange: Unsere älteste Bürgerin, Pauline Wolf, starb mit 104 Jahren. Momentan haben wir fünf Rüdersdorfer, die 96 Jahre alt sind, vier weiblich und einer männlich!“

ZUR PERSON
Wilfried Kroll, 55, ist gelernter Glasinstrumentenbauer und war bei der Narva tätig. Heute ist er Angestellter bei der Luft und Klima GmbH und Mitinhaber der Luft und Klima & Service GmbHin Herzfelde Seit 1994 lenkt er als Parteiloser, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt, selbst wenn er mal anderer Meinung als die Gemeindevertreter ist, die Geschicke Rüdersdorfs. Er ist verheiratet, hat eine Tochter und einen Enkel. Wenn der Hobby-Koch einlädt, dann gibt es meist einen „Riesentopf Kohlrouladen“. Neben dem Kochlöffel und dem Zepter des Gemeindeoberhaupts schwingt er ab und an den Pinsel und malt Aquarelle und Ölbilder. Weitere Hobbies sind Angeln und Schachspielen.

Streifzug durch die Amtsgemeinden

Über 150 Jahre sind sie durch ein geologisches Erbe verbunden: Die Gemeinden rund um den Kalkstein-Tagebau. Da war es logisch, dass man sich 1992 unter einem Verwaltungs-Dach zusammenfand. Doch nun soll alles anders werden! Mit der Gewalt des Gesetzgebers will Brandenburgs CDU-Innenminister Jörg Schönbohm die Ämter als gemeinsame Verwaltung
unabhängiger Gemeinden aufgelöst sehen und sie durch Großgemeinden ersetzen, in denen die kleinen aber politisch untergehen. Denn aus dem ehrenamtlichen, aber direkt gewählten und entscheidungsbefugten Bürgermeister wird dann ein Ortssprecher ohne politische Durchsetzungskraft im Gemeindevertreter-Parlament. Die Bürger haben sich nun für eine Zwischenlösung entschieden. Die heißt Gemeinde Niederbarnim und würde die Orte Hennickendorf, Herzfelde und Lichtenow umfassen. Rüdersdorf sollte als weitere Gemeinde eigenständig bleiben. Doch der Innenminister ist dagegen. Denn statt einer Amtsverwaltung hätte man dann zwei Gemeindeverwaltungen, also doppelte Kosten! Wie soll das Problem gelöst werden? Wir sahen uns in den Gemeinden um.

Hennickendorf
Im Gemeindehaus von Hennickendorf ist im Erdgeschoss das neue Heimatmuseum angesiedelt. Im Obergeschoss hat der ehrenamtliche Bürgermeister sein Zimmer. Wolfgang Paschke ist selbstständiger Finanzberater, 50 Jahre alt, verheiratet, SPD-Mitglied und „regiert“ bereits seit der Wende mit einer Koalition aus SPD und CDU-Gemeindevertretern. Was für ihn kein Problem ist, denn „Ortspolitik ist keine Parteipolitik“. Tatsächlich scheint in Hennickendorf der Zusammenhalt unter den Bürgern sehr groß zu sein: So sollte am Rande des Neubaugebiets am Lichtenower Weg ein Spielplatz in drei Jahres-Abschnitten, für die Kleinen, die Größeren und die Jugendlichen entstehen. „Baubeginn ist im Herbst. Doch durch Bereitstellung von Technik und Material durch örtliche Firmen sind die ersten beiden Abschnitte bereits gesichert, so dass sich das ganze von drei Jahren auf ein Jahr Bauzeit verkürzen dürfte!“ Die Idee kam aus dem Sozialausschuss der Gemeindevertreter. Treibender Keil war der „Henickendorfer Förderverein für Städtepartnerschaft, Kultur, Sport e.V.“ unter dem rührigen Vorsitzenden André Bienert. Damit wird der Ort ein zusätzliches Sportfeld erhalten, das als Spritzeisbahn zusätzlich genutzt werden kann. Außerdem sollen dann eine Skaterbahn, eine Kletterwand sowie eine Grillecke entstehen. Bürgermeister Wolfgang Paschke freut sich als lange Zeit aktiver Fußballer und begeisterter Freizeitangler über das breite Vereinsleben im Ort. „Volleyballer, Beach-Volleyballer, Fußballer und die Feuerwehr tragen viel zur Zusammengehörigkeit bei. Dazu kommen Begegnungen mit unseren Partnergemeinden in Deutschland, Polen und Frankreich, bei denen die Schule sehr maßgeblich mitwirkt.“ Für neue Familien hat die Gemeinde ein „kleines Wohngebiet“ an der Rehfelder Straße ausgewiesen. Nun wird ein Bauträger gesucht.

Wolfgang Paschke bringt Leben nach Hennickendorf.

Lichtenow
Lichtenow liegt an der vielbefahrenen B1/B5. Wie soll ein Ort da existieren? Doch gleich am Ortsanfang geht es links ab ins Alte Dorf. Dort scheint die Zeit gewissermaßen stehengeblieben zu sein. Zwar gibt es neben älteren Häusern durchaus schmucke und geschmackvolle neuere Eigenheime. Doch dann blendet ein tiefblaues Distel-Feld die Augen. Wenn das keine ländliche Idylle ist! Bürgermeister Gerald Musehold, 54, treffen wir im schlichten Gemeindehaus bei der Kirche. Er hat gleich mehrfach Ärger mit dem Land. Gegen die Gebietsreform und für die neue Gemeinde Niederbarnim haben sich zwei Drittel seiner Bürger entschieden. „Wenn uns das Land per Gesetzesverordnung diesen Schritt verwehren will, dann werden wir Verfassungsklage einreichen“, ist er sich mit Wolfgang Paschke aus Hennickendorf und Gesa Soballa aus Herzfelde einig. Und dann gibt es noch den Ärger mit der Kreuzung bei der Tankstelle an der B1: „Hier wollten wir einen Kreisverkehr einbauen, hatten dafür schon die Fläche reserviert, doch die Straßenverkehrsbehörde war dagegen. Also wird nun eine Ampel gebaut.“Gerald Musehold ist von Beruf Immobilienmakler und seit 29 Jahren Gemeindevertreter in Lichtenow. Als der gewählte Bürgermeister Gerhard Lang 1992 aufgrund eines schweren Unfalls sein Amt abgab, wurde Musehold Bürgermeister, „obwohl ich Immobilien-Makler bin“. Anschließend wurde er von den Bürgern wiedergewählt. Nun muss er aufpassen, seine Geschäfte möglichst außerhalb der Gemeindegrenzen zu machen. Doch wenn es dann gelingt, ein lange vor sich hin gammelndes Grundstück wie das gemeindeeigene Areal zwischen Kirche und Gemeindehaus an den Mann zu bringen, dann freut er sich doch. Außerdem ist er glücklich darüber, dass sich das Dorf vergrößert: „Zu Wendezeiten hatten wir 480 Bewohner, heute sind es 530. Das ist für so ein kleines Dorf schon gut.“ Sorgenkind sind die unbefestigten Straßen. Im Kernbereich um das Gemeindehaus und die Kirche soll bereits diesen Herbst alles schön werden – inklusive Straßenbeleuchtung. Ärger gibt es mit dem einzigen Baugebiet: „Hier sollten 58 Eigenheime entstehen. Doch der Bauträger ist nach einem Baustopp pleite gegangen. Das Unternehmen befindet sich in Zwangsvollstreckung, da wird wohl vorerst nichts voran gehen.“ So bleibt nur die Lückenbebauung innerhalb des Ortes – Platz ist ja ausreichend vorhanden.

Gerald Musehold sorgt dafür, dass den Bürger von Lichtenow ein Licht aufgeht – mit der neuen schmucken Straßenbeleuchtung!

Herzfelde
Gesa Soballa aus Herzfelde hat es nicht leicht: Sie ist berufstätig, Mutter und amtierende ehrenamtliche Bürgermeisterin. Mit ihren 31 Jahren ist sie die jüngste Ortschefin, und vertritt seit nunmehr bereits zwei Jahren den krankheitshalber ausgefallenen Bürgermeister Detlef Herde. Eines ihrer Probleme: Die Diplom-Ingenieurin für Garten- und Landschaftsbau arbeitet in Berlin und tut sich somit schwer, mal schnell zu einem Termin kurz von der Arbeit wegzugehen. Erstens hat der Arbeitgeber dafür wenig Verständnis, und dann steht man eben oftmals im Stau, auf der B1. Und so treffen wir Gesa Soballa im Gemeindehaus mit Töchterchen Madita, 3, an. „Am meisten sind die Bürger darüber glücklich, dass wir nun einen attraktiven Supermarkt am Ort haben. Bisher war das ein Riesen-Problem, vor allem für die, die kein Auto haben.“ Als Mutter freut sich Gesa Soballa ganz besonders darüber, dass die Kita saniert werden konnte und neue Sanitärräume bekam. „Außerdem konnten wir das Dach der Kirche erneuern und sind nun dran, ein Feuerwehrdepot zu bauen. Sobald wir Mittel bewilligt bekommen, kann es sofort losgehen.“ Fast alle Häuser in Herzfelde sind ans öffentliche Abwassernetz angeschlossen. Im Ort sind ausreichend Grundstücke für Neubebauungen vorhanden. Zudem gibt es am Heidefeld ein Baugebiet, das Platz für Einfamilienhäuser böte. Dennoch leidet Herzfelde unter einem Abwanderungsproblem. Und muss immer noch mit den Narben der Vergangenheit kämpfen: „Nach der Wende lagen bei uns auf jedem dritten Haus Ansprüche von Alteigentümern. Heute haben wir immer noch Gebäude, wo entweder die Eigentumsverhältnisse unklar sind oder die Besitzer nach erfolgter Rückübertragung sich einfach nicht um ihre Liegenschaft scheren. Deshalb haben wir einige bauliche Schandflecken, gegen die wir machtlos sind.“ Dass Gesa Soballa beliebt ist, zeigt sich beim Fototermin. Jeder grüßt, für jeden hat sie ein freundliches Wort, weiß welches Problem gerade ansteht. Und schon kommt der Ehemann, im Hauptberuf Installateur, in den Hof des Gemeindehauses gebraust. Er holt die Tochter ab – Gesa Soballa hat noch einen Abend voller Termine vor sich. „Familiär ist es schwierig, Bürgermeisteramt und Privatleben zu vereinbaren. Aber es ist eine sehr spannende Aufgabe!“ Die andere Seite der Medaille: „Wenn mein Mann nach Hause kommt, muss ich meist los zu Terminen!“

Gesa Soballa sieht Töchterchen Madita und den Ehemann nur selten.

Es handelt sich hier um einen Archiv-Eintrag.
Die Informationen, Daten und Bilder sind möglicherweise veraltet und nicht mehr aktuell.


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