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Über Nacht wird Oranienburg gleich um 10000 Bürger zunehmen: Punkt Gongschlag 2003 wird die Stadt anstatt bisher etwa 30000 Einwohner fast 40000 Bürger zählen.
Freut sich da der Bürgermeister? Schließlich bedeuten der Einwohnerzuwachs mehr Arbeit und neue Probleme. Im Interview wich Hans-Joachim Laesicke keiner Frage aus.
Wie ist eine derartige Vergrößerung verwaltungsmäßig zu verkraften?
Hans-Joachim Laesicke: Die vom Landtag beschlossene kommunale Neugliederung ist für alle Beteiligten, auch für uns, eine große Herausforderung. Neustrukturierung der Verwaltung, Integration der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Amtes Oranienburg-Land und Verständigung mit den Kommunalpolitikern der bis dahin selbstständigen Gemeinden umreißen nur einige der zu bewältigenden Problemfelder. Ich freue mich persönlich darüber, dass alle Gemeinden, die zu uns kommen, dies auf freiwilligem Wege tun. Vorangegangen waren aber teilweise intensive Diskussionen. So empfahlen die Gemeindevertreter in Schmachtenhagen den Bürgern in der Abstimmung, sich gegen den Anschluss an Liebenwalde zu entscheiden, den die Gemeindevertreter vorher selbst beschlossen hatten. Also stimmte die Schmachtenhagener Bürgerschaft erst mal dagegen und sprach sich dann in einem zweiten Bürgerentscheid für eine Eingliederung nach Oranienburg aus.
Welche Gemeinden kommen insgesamt zu Oranienburg?
Hans-Joachim Laesicke: In Friedrichsthal, Malz und Germendorf war die Entscheidung für Oranienburg unumstritten. In Wensickendorf, Zehlendorf, Schmachtenhagen und Lehnitz sprachen sich jeweils zwei Drittel der Bewohner dafür aus.
Die Gebietsreform wird nun in dieser Form ab 1.1.2003 rechtswirksam. Damit ähnelt die Stadt Oranienburg in der Ausdehnung dem historischen Amt Oranienburg von Louise Henriette.Spülen die neuen Orte Geld in Ihre Stadtkasse oder bringen sie Schulden mit?
Hans-Joachim Laesicke: Da muss ich ein ganz großes Lob aussprechen: Alle haben sehr behutsam gewirtschaftet, nur das gemacht, was sie wirklich bezahlen konnten. Dennoch ist dort viel passiert. Die Feuerwehren sind in einem guten Zustand, das gemeindliche Leben funktioniert, Straßen, Kindereinrichtungen und Dorfkerne sind zu einem guten Teil saniert. Nur bei der Abwassererschließung gibt es teilweise noch größeren Nachholbedarf.
Wie sieht die Bevölkerungsentwicklung aus?
Hans-Joachim Laesicke: Nach der Wende hatten wir etwa 1500 Einwohner verloren. Seit etwa sieben Jahren vollzieht sich wieder ein positiver Trend, so dass wir uns von 28500 Einwohner auf mittlerweile 30000 Einwohner vergrößern konnten. Damit blieben wir von einem verhängnisvollen Bevölkerungsrückgang, unter dem andere Orte Brandenburgs leiden, verschont.
Soll Oranienburg weiter wachsen?
Hans-Joachim Laesicke: Natürlich freuen wir uns über jeden, der zu uns zieht. Ich denke aber, dass die Zeit der großen Wanderungsbewegungen zunächst vorbei ist. Der Stand von 40000 Bürgern ist eine optimale Größe. Ich finde, dass wir damit an einem Punkt sind, wo wir sehr effizient arbeiten können. Wir sind klein genug, so dass alles überschaubar ist und ich als Bürgermeister die Möglichkeit habe, beabsichtigte oder getroffene kommunalpolitische Entscheidungen noch unmittelbar mit dem einzelnen Bürger erörtern zu können. Diese Bürgernähe ist mir sehr wichtig. Und wir sind groß genug, um die uns zugedachte Rolle als Kreisstadt auszufüllen.
In welche Richtung soll sich Oranienburg wirtschaftlich entwickeln? Wodurch sollen Arbeitsplätze entstehen?
Hans-Joachim Laesicke: Ich bin sehr froh, dass sich Oranienburg als Industriestandort erhalten konnte. Mit Altana Pharma, ORAFOL, Plastimat, SCANRUB und anderen Betrieben haben wir bei uns namhafte, weltweit operierende und expandierende Firmen. Sehr wichtige Impulse wird die Umgehungsstraße bringen. Die schließt den alten Heinkel-Flugplatz dann direkt an die Autobahn an. Dadurch entsteht ein Gewerbegebiet mit einer optimalen Verkehrsanbindung. Als Investoren konnten wir bereits zwei Firmen gewinnen: So wird die Firma&Mac226;Johannes Peter Tiefbau den Sitz dorthin verlagern. Die dänische Firma GENAN arbeitet mit Hochdruck an der Errichtung ihres modernen Reifenrecyclingwerkes. Dass dort aber kein eintöniger und trostloser Industriepark entsteht, wird durch eine naturnahe Bebauungsplanung gewährleistet.
Holperstraßen sind überall in Ostdeutschland ein Problem. Wie sieht es hier aus?
Hans-Joachim Laesicke: Vor der Wende waren 70 Prozent aller Straßen unbefestigt, heute sind es etwa 50 Prozent. Das Problem ist die Finanzierung. Von Gesetzes wegen müssen wir die Grundstücksbesitzer daran beteiligen. Wir hatten früher einen Erschließungsbeitrag von nur 35 Prozent der Kosten gefordert und waren in dieser Hinsicht die preiswerteste Stadt in ganz Deutschland. Damit bekamen wir allerdings rechtliche Probleme, so dass wir nunmehr 51 Prozent von den Grundstücksbesitzern erheben müssen. Das ist immer noch vergleichsweise wenig, vielen aber zuviel. So haben wir die Situation, dass viele Bürger fordern, mit dem Straßenausbau sachte vorzugehen.
Während in vielen Orten Bäder mangels Rentabilität geschlossen werden, hat sich Oranienburg für fast 60 Millionen Mark ein stadteigenes Erlebniszentrum gegönnt.
Hans-Joachim Laesicke: Für die Bürger hat sich damit ein alter Traum endlich erfüllt. Bereits seit den 20-er Jahren bemüht sich Oranienburg um ein Bad. Damals sollte es ein Wannenbad sein, schließlich hatten viele kein eigenes Bad im Haus. In den 70-er Jahren wurde über eine Schwimmhalle diskutiert. Die bekam dann natürlich das kleinere Hennigsdorf, war es doch sozialistische Stahlarbeiterstadt. Wir als Kreisstadt hatten wieder das Nachsehen. Und jetzt haben wir es endlich geschafft!
Sie haben eine Eisprinzessin, aber keine Eishalle. Wer soll das verstehen?
Hans-Joachim Laesicke: Wir sind jetzt schon Anziehungspunkt für viele Eissportfans. Um das öffentliche Interesse auf den im Bau befindlichen Freizeitbadkomplex zu richten, hatten wir uns entschieden, zunächst eine provisorische Eissportanlage während des Winterhalbjahres aufzubauen. Innerhalb kürzester Zeit wurde die Eisbahn der Renner für Jung und Alt. Deshalb haben wir beschlossen, nun eine richtige Eishalle zu bauen. Der erste Bauabschnitt mit der Grundplatte und der Eisanlage wird dieses Jahr durchgeführt, die nötigen Mittel von 500000 Euro sind im städtischen Haushalt eingestellt und verfügbar.
Bei soviel Investitionen in den Freizeitbereich kommt die Vermutung auf, dass Sie aus dem Industrie-Standort Oranienburg ein Tourismusziel machen möchten.
Hans-Joachim Laesicke: Auf das Niveau unserer Industrie bin ich sehr stolz. Der Tourismus entwickelt sich zunehmend zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Mit der Anbindung der Umgehungsstraße an den Berliner Autobahnring und dem Lückenschluss der S-Bahn zwischen Frohnau und Hohen Neuendorf ist Oranienburg infrastrukturell bestens an die deutsche Hauptstadt angeschlossen. Viele Berliner drängt es danach, das oft wenig bekannte Umland für sich zu entdecken. Neben dem ältesten Barockschloss der Mark Brandenburg, der Gedenkstätte Sachsenhausen und der über einhundertjährigen Siedlung Eden bieten wir mit einem breiten Kultur- und Freizeitangebot sowie mit landschaftlichen Reizen viele gute Gründe für einen Besuch. Um das nach außen zu vermitteln, werden wir strukturelle Veränderungen in der Verwaltung vornehmen und uns auch professioneller Hilfe Dritter bedienen. Schließlich hat es Oranienburg nicht verdient, nur im Zusammenhang mit Bombenfunden aus dem 2. Weltkrieg Medienpräsenz zu erlangen.
Was ist Ihr Wunsch an die Bürger?
Hans-Joachim Laesicke: Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Bürger wirklich mit ihrer Stadt identifizieren und dafür Verantwortung übernehmen. Ich wünsche mir ein Bewusstsein, dass die Stadt als unser gemeinsames Wohnzimmer betrachtet wird. Dann schmeißt man keinen Dreck auf die Straßen, geht sorgfältig mit den Grünanlagen, Plätzen, Fassaden und Einrichtungen um. Denn davon hat doch jeder etwas!
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Bürgermeister mit Bodenhaftung
Hans-Joachim Laesicke ist 48 Jahre alt, hat drei erwachsene Kinder und ist von Beruf Jurist. Er war in der Rechtsabteilung der Deutschen Außenhandelsbank und wechselte 1980 als Betriebsjustitiar zum Tiefbau Oranienburg. Während der Wende war Laesicke beim Neuen Forum aktiv und trat dann der SPD bei, in der er auf Gleichgesinnte hoffte, die sein Streben nach sozialer Gerechtigkeit teilen würden. Als die SPD aus den ersten freien Kommunalwahlen im Mai 1990 als stärkste politische Kraft hervorging, wählte ihn die Stadtverordnetenversammlung zum 1. Beigeordneten und damit Stellvertreter des Bürgermeisters Udo Semper. 1993 wurde Laesicke in Direktwahl zum Bürgermeister gewählt. 2001 sprachen ihm die Oranienburger mit 65 Prozent der Stimmen bei vier Gegenkandidaten auf Anhieb erneut das Vertrauen aus. Er fühlt sich wohl in seinem Amt, lebt privat in einer Doppelhaushälfte in Oranienburg und liest gerne. Meine Frau brauchte lange um sich daran zu gewöhnen, dass auf meinem Nachttisch stets acht bis zehn Bücher liegen, die ich gleichzeitig lese. Das Spektrum geht von Heinrich Böll über Hermann Hesse bis zu dem Lyriker Erich Kästner oder zu Preußischer Geschichte. Laesicke hört gerne Musik, am liebsten Jazz oder Beat aus den Sechzigern. Als Genussmensch liebt er die Küsten des Mittelmeeres ebenso wie gutes Essen von der heimischen Rindsroulade bis zur Dorade in Butter gedünstet. Mit Wein und Sekt kann Laesicke wenig anfangen. Das hat sich mittlerweile herum gesprochen und so gibt es selbst bei offiziellen Empfängen und Grundsteinlegungen für den Bürgermeister ein frisch gezapftes Bier.
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