Reise in die Vergangenheit und Blick in die Zukunft
Grau und trübe ist der Tag. Der Himmel vergießt ein paar Tränen. Es nebelt. Kein schönes Ausflugwetter. Aber irgendwie passend für mein Reiseziel – denke ich mir einfach. Die B96 fahre ich entlang, durch Zossen durch. Am Wegweiser „Bücherstadt“ geht es links rein, an hellen, frisch sanierten Häusern vorbei, nichts da von grau und kaputt. Ich bin angelangt in der Bücherstadt. Wünsdorf, einst verbotene Stadt, Sitz des Oberkommandierenden der sowjetischen, zuletzt russischen, Streitkräfte in Deutschland. Das weiß man noch so. Bis 1994 Garnison, dann Abzug der Truppen. Was ist daraus geworden?

Bei einer sogenannten Standortrundfahrt, die hier in der Bücherstadt, einem Komplex von bisher drei Gebäuden mit fast zwanzig Buchantiquariaten, beginnt, sollten mir zum ersten jedoch nicht zum letzten Mal am heutigen Tag Augen und Ohren übergehen. Fast ein ganzes Jahrhundert lang war der heute größte Konversionsstandort in Deutschland militärisch genutztes Gelände. Bereits 1906 soll die Entscheidung gefallen sein, in der Gegend Zossen-Wünsdorf einen Truppenübungsplatz anzulegen. Zwischen 1910 und 1916 entstand dann schon die bis heute erhaltene Grundstruktur des künftigen Garnisonsstandortes, das Truppenlager, die Militärturnanstalt und die Infanterie-Schießschule. Im ersten Weltkrieg werden Soldaten für die Front ausgebildet. Kriegsgefangenenlager entstehen, der Ausbau des Standortes geht immer weiter.

Die Nationalsozialisten bauen die Anlagen zielgerichtet für eine Kriegsführung weiter aus. Zwischen 1937 und 1940 werden für das Oberkommando des Heeres das Lager Zeppelin mit den Bunkeranlagen Maybach I und II sowie die Nachrichtenzentrale Zeppelin, das sogenannte Amt 500, gebaut. Für die Zivilbevölkerung werden 19 Luftschutztürme errichtet.
Während der einstündigen Standortrundfahrt erfahren wir allerhand über die letzten Nutzer, fahren am einsamen Lenin vorbei, hören und sehen, wie es mit der zivilen Nachnutzung vorwärts geht und staunen nur über die Dimensionen des Geländes.

Was der Nazi-Größenwahn hinterließ, überwuchert nun die Natur.
Jeder kann es sich auf der Landkarte ansehen. Doch muß man das alles selbst gesehen haben, um einen Eindruck zu bekommen.

Künftig sollen hier in der Waldstadt 10 000 Menschen leben. Wieviele es zu sowjetischen/russischen Zeiten waren, weiß niemand genau, von 30-70 000 spricht man. Wieder am Ausgangspunkt angelangt, steht der zweite Teil der Besichtigungstour auf dem Programm – die Bunkeranlagen. Es regnet immer noch, doch paßt die Stimmung wohl genau zu dem, was wir Besucher jetzt erleben sollten.

Theorie klar, Bunkeranlage Maybach I, Sitz von Hitlers Oberkommando des Heeres. Da steht man nun vor den Ruinen der oberirdischen Bauten, die nach 1945 gesprengt wurden, ganz kaputt hat sie niemand gekriegt. Hier saßen Hitlers Generale, planten und koordinierten Mord und Vernichtung. Wir stehen sozusagen in der Schaltzentrale des Zweiten Weltkrieges. Der Krieg wurde von hier aus geführt. Es sind keine Filmkulissen eines Hollywood-Endzeitthrillers! Das ist die Wirklichkeit. So, wie diese Erkenntnis ins Bewußtsein dringt, so schlägt sie auf den Magen. Der Regen paßt jetzt besser denn je! Langsam überwuchert die Natur den zu Beton gewordenen Größenwahn. Den ehemaligen Nachrichtenbunker kann man besichtigen, zumindest zum Teil. Genutzt wurde er noch bis 1994. Eine Stadt unter der Stadt. Unglaublich!

Nach zwei Stunden haben wir doch nur einen Bruchteil gesehen. Die Einrichtung ist bis auf Beleuchtung und Ventilation mit den letzten Nutzern verschwunden, doch hatte man sich auch nach dem zweiten Weltkrieg auf alle Eventualitäten eingerichtet. Die Schleusen mit den dicken Stahltüren sollten den Insassen Schutz bieten vor chemischen, biologischen und atomaren Waffen. Und die, die keinen Bunker haben? Die Leute in den Städten und Dörfern?

Die frische Luft, die uns beim Verlassen des Bunkers entgegenschlägt, tut gut. Es hat aufgehört zu regnen. Schreiben kann ich nicht sofort!

Von Klaus Zahn

Es handelt sich hier um einen Archiv-Eintrag.
Die Informationen, Daten und Bilder sind möglicherweise veraltet und nicht mehr aktuell.


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