Ortschronist will für neue Töne sorgen

Bauernkind aus dem Erzgebirge sorgt für Wirbel

Offenbar sind es die Zugezogenen, die Werder voran bringen. Beim Erfinder des Blütenfests weiß man allerdings nicht mal, wo er geboren wurde.Bei Dr. Baldur Martin ist zumindest diese Frage besser zu lösen, als bei Wilhelm Wils, der vor 170 Jahren geboren wurde. Dr. Martin hat zwar kein Blütenfest erfunden, dafür initiierte er die Teilnahme Werders am bundesweiten Wettbewerb „Unsere Stadt blüht auf“. Doch das ist nur sein neuester Einfall. In den 40 Jahren, die Dr. Martin nun bereits in seiner Wahlheimat lebt, hat er viel bewegt. Und hat heute eine ganze Menge zu tun. Denn er ist Stadtverordneter und Kreistagsmitglied, Buchautor und Ortschronist, ist Gründungsmitglied und Vorsitzender des Heimat- und Fremdenverkehrsvereins, der nun nur noch Heimatverein heißt. Und ganz aktuell freut er sich als frischgebackener Opa über eine süße Enkelin. Von seinem Wohnzimmer aus hat Dr. Baldur Martin den herrlichsten Blick auf die Havel und die Insel. Leider hat der anerkannte Gartenbaufachmann wenig Zeit für dieses Vergnügen: „Ich bin gerade in den letzten Zügen um unseren neuen Bildband fertigzustellen. Wir haben vor zehn Jahren Häuser und Straßenzüge in Werder fotografiert und geben nun den Nachfolgeband heraus. Damit kann man gut die Veränderungen erkennen.“ Dr. Baldur Martin ist ein Energiebündel, dessen „Karriere“ auf einem Bergbauernhof bei Olbernhau im Erzgebirge begann. Dort hieß es für den kleinen Bub, bereits mit sechs Jahren kräftig bei der harten Arbeit mitzuhelfen. Der körperliche Einsatz stand aber dem schulischen Erfolg nicht im Wege: „Ich konnte sogar eine Klasse überspringen. Als einer der wenigen im Ort machte ich Abitur. Ich wollte unbedingt Jura studieren! Doch die Zulassung für die Uni wurde mir verweigert. Durch das Überspringen einer Klasse galt ich fürs Studium als zu jung!“ Das Problem: „Ich wäre bereits mit 21 Jahren, also mit Erreichen der Volljährigkeit, mit dem Staatsexamen fertig geworden. Ein Rechtsanwalt oder Staatsanwalt in Amt und Würden, der gerade mal volljährig geworden ist, das hielt man einfach für undenkbar.“ Also galt es, zu „parken“ oder? „In den Westen überwechseln wollte ich nicht. Dazu war ich zu sehr heimatverbunden.“ Die Alternativen waren Arbeit in einem Betrieb oder die Armee. „Damals gab es noch keine Wehrpflicht!“ Baldur Martin entschied sich für den Betrieb. „Dann kam die Anweisung, dass Betriebe Offiziersanwärter abzustellen hätten!“ Pech für Baldur Martin: „Ich war der einzige, der Abitur hatte und dadurch als Kandidat geeignet gewesen wäre!“ Martin zeigte, was ein erzgebirgischer Dickschädel ist: „Schließlich gab es im Dorf sogar Versammlungen zu dem Thema. Der Druck wurde immer stärker. Zufällig las ich im Neuen Deutschland, dass in Ketzin Baumschulgärtner gesucht wurden. Ich bewarb mich und wurde genommen!“ Nach dem Ärger mit den Parteioberen im Erzgebirge und aufgrund der Tatsache, dass er nie in die SED eingetreten war, wunderte sich der renitente Bub aus den Bergen nicht schlecht, als er in Ketzin gleich als „unser neuer FDJ-Sekretär“ empfangen wurde. „Ich war dort ebenfalls der einzige Abiturient“. Seinem Lehrmeister Gerhard Karg ist er heute noch dankbar, dass der ihn „an die Hand genommen hat und mir Orientierung gab. Ich glaube, dass das heute in der Lehrlingsausbildung zu sehr vernachlässigt wird.“ Martin und seine Gruppe kamen schnell zu Erfolgen, gewannen Goldmedaillen in Berufswettbewerben, bekamen Auszeichnungen des Ministeriums, wurden mit Ausflügen an die Ostsee oder nach Prag belohnt. Meilensteine setzte Martin im Rahmen seines Studiums. Er leistete Pionierarbeit im Bereich Sozialgeographie. „Thema meiner Diplomarbeit war, die Siedlungsflächen-Entwicklung in Werder zu erforschen.“
Das war Neuland. Martin musste sich überlegen, wie er vorgehen wollte. Schließlich entschied er sich, die Geschichte der Häuser zu erforschen. Wer wohnte darin, wer waren die Vorbewohner, welche Berufe hatten sie? „Damit war per Zufall der Grundstein für eine systematische Geschichtsforschung in Werder gelegt, auf den ich später aufbauen konnte.“ Der leidenschaftliche Gärtner und Diplom-Lehrer promovierte später in Unterrichtsmethodik und war zuletzt für die Unterrichtsplanung an Gartenbauschulen der DDR zuständig. Er verfasste Berufsfachbücher, war 40 Jahre Lehrer der Gartenbau-Fachschule in Werder und gerade dabei, die B-Promotion zu schreiben, als die Wende dazwischen kam. Über die DDR beklagt er sich nicht: „Ich gehörte zu den anerkannten Fachleuten, die man brauchte. Obwohl ich kein Parteibuch hatte und wir uns zu christlichen Werten bekannten, ließ man uns in Ruhe. Sogar Westbesuche konnte ich empfangen.“ Mittlerweile hat Dr. Martin viel Historie über die Region Werder zusammen getragen. Unlängst wurden in einer gemeinsamen Aktion mit dem dortigen Heimatverein die Überreste der alten Tonmühlen in Petzow ausgegraben. Als nächstes soll die Sammlung im Obstbaumuseum geordnet werden. Und dann träumt Dr. Martin davon, sein persönliches Archiv einer dauerhaften öffentlichen Nutzung zuzuführen. Ein richtiges Heimatmuseum würde einer Stadt wie Werder sicher gut anstehen! Momentan plant Dr. Baldur Martin, historische Lieder von Werder in einem Buch herauszubringen. „Am liebsten mit beiliegender CD. Aber das ist wegen der Tonaufnahmen sehr aufwändig!“

Dr. Baldur Martin würde seine umfangreiche Sammlung gerne einem Heimatmuseum zur Verfügung stellen.

In Ketzin ging es nur noch nach oben: Für Erfolge im Gartenbau gab’s eine Reise nach Prag.

In gemeinsamer Aktion der beiden Heimatvereine wurden in Petzow die historischen Tonmühlen freigelegt.

Es handelt sich hier um einen Archiv-Eintrag.
Die Informationen, Daten und Bilder sind möglicherweise veraltet und nicht mehr aktuell.


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