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Sie bannte die Großen aus Kunst und Kultur auf
Zelluloid. Dabei galt ihre Liebe ganz besonders den Menschen wie Du und Ich.
Als sie bei einem Film über den Aufbau der Neubausiedlung von Marzahn die „falsche“ Brigade porträtierte, überzog sie die
FDJ mit ihrem Sprachrohr „Junge Welt“ mit einer Medienkampagne. Gerettet hat die quirlige Filmfrau nur, dass sie zu den in Ost und West renommiertesten Regisseurinnen zählte!
Ausgezeichnet bei den Filmfestspielen von Oberhausen und mehrfach prämiert beim Internationalen Festival für Dokumentarfilme in Leipzig gehört Gitta Nickel (r.) zu den herausragenden Filmerinnen der DDR und mittlerweile von ganz Deutschland. ARD, ZDF, RBB und MDR beauftragen sie immer wieder mit den unterschiedlichsten Themen. Nun verschlug sie die Liebe in die Blütenstadt Werder. Dort lebt sie zusammen mit dem Militärhistoriker Dr. Klaus Froh hoch oben über der Stadt, auf dem Schwalbenberg. Wird man also nun bald Werder und das Havelland ganz groß in einer Dokumentation im Fernsehen erleben? „Es gibt hier so viele Geschichten und Persönlichkeiten. Es wäre bestimmt reizvoll, daraus einen Film zu machen“, schwärmt das umtriebige Energiebündel.
Gitta Nickel ist eine der ungewöhnlichsten Figuren in der Filmgeschichte. Geboren am 28. Mai 1936 im kleinen Dorf Briensdorf in Ostpreußen verliebte sie sich durchs Dorfkino in die Welt von Glanz und Glamour. „Besonders Marika Röck hatte es uns angetan“, schwärmt sie noch heute. Die Kriegswirren verschlugen ihre Mutter mit den drei Kindern nach Blankenburg im Harz. „Vater war Molkereibesitzer und wurde von den Sowjets in ein Lager nach Moskau verschleppt, wo er starb“, erinnert sie sich zurück. Gitta lernte an der Humboldt-Universität in Berlin Lehrer, wollte aber unbedingt zum Film. Das hübsche Mädchen mit dem markanten Pferdeschwanz schaffte schließlich, das harte Pädagogenbrot
auf dem Lande gegen einen Volontärs-Platz in den DEFA-Studios einzutauschen. „Das Argument ‚Kinderfilm’ überzeugte, das hatte ja auch was mit Pädagogik zu tun“, erinnert sie sich heute schmunzelnd an den damaligen Coup. An der Seite der Regisseure Joachim Kunert, Ralf Kirsten und von Altmeister Konrad Wolf lernte sie das Film-Handwerk von der Pike auf. „Das kommt mir heute zu Gute“, strahlt die jugendlich wirkende 69-Jährige. Ihr nächster Lehrmeister und späterer Ehemann wurde Regisseur Karl Gass. Der stellte die Weichen für eine Dokumentation über das Leben im Oderbruch-Ort Hohenselchow. „Heuwetter“ wurde der erste ganz eigene Langfilm, in dem die journalistische Filmerin die Menschen und deren Entwicklung im Laufe von fast zehn Jahren dokumentierte. Regie und Schnitt erledigte sie selbst, für die Bilder sorgte
Niko Pawloff, mit dem sie bis zur Wende als Kameramann zusammenarbeitete. Das Drehbuch entstand zusammen mit Wolfgang Schwarze, der ihr ebenfalls für lange Jahre zur Seite stehen sollte. Der Film schlug durch die Lebendigkeit der Darstellung und die unprätentiöse Natürlichkeit international ein und wurde bei den Kurzfilmtagen im westdeutschen Oberhausen auf Anhieb ausgezeichnet. „Meine Besonderheit war und ist, ohne Kommentare auszukommen!“ Der Weg zum Ruhm war frei! Der Komponist Paul Dessau, ein Dorf im Kriegs-Vietnam, ihr Lehrmeister Konrad Wolf, das Leben in der DDR, eine Weggefährtin von Mao Tse Tung, interessante Menschen fand Gitta Nickel überall. Um einen Streifen über Polinnen als Gastarbeiterinnen zu drehen, die in der Geflügelzucht der DDR arbeiteten, stellte sich Gitta Nickel selbst ans Fließband. Richtig Ärger gab es 1980 mit „Manchmal möchte man fliegen“. Eine Silberne Taube beim Internationalen Doku-Filmfest in Leipzig rettete die Filmerin haarscharf. Überliefert ist der Ausspruch des erzürnten Politbüro-Funktionärs Kurt Hager: „Dieses Mal lassen wir sie noch fliegen, das nächste Mal fliegt sie!“
Die Wende brachte die große Freiheit, die Zusammenarbeit mit Hollywood-Größen wie dem ungarischen Mephisto-Regisseur István Szabó und den Ausverkauf der Babelsberger Studios. Neue Themen wie der Rückzug der Roten Armee, wie die Wende die Menschen veränderte oder wie Deutsche aus Ost und West wieder zusammenkamen, rückten in Blickfeld. „Leider sind Dokumentarfilme im Kino nicht mehr gefragt. Nun sind unsere Auftraggeber das Fernsehen, und die Etats sind sehr begrenzt. Ich habe genügend Routine um sehr effizient zu arbeiten, aber die jungen Leute tun mir leid“, reflektiert die Neu-Werderanerin die Schattenseiten der neuen Zeit.
Ans Aufhören denkt sie noch lange nicht: „Meine Arbeit ist mein Leben“, versichert sie in ihrem „Liebesnest“, dem neuen Eigenheim über den Wipfeln von Werder.
Infos Tel. 0 33 27/7 95 51
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