Mit Schocktherapie zu
harten Dollars und weltweitem Erfolg

DDR-Blumen für Holland

Blütenstadt Werder – da denkt man seit fast 200 Jahren an Obstbau, gilt doch das Baumblütenfest seit 1879 als Anziehungspunkt für Besucher. Doch wo Bäume blühen, könnten eigentlich ebenso gut Blümchen wachsen! Klingt logisch! Findigen Werderanern ist diese Idee bereits vor gut hundert Jahren gekommen. Und die hatten damit, wie das bei Werderanern so üblich ist, einen Bombenerfolg. Sogar weltweit! „Die Rede ist von der Maiblumentreiberei“, klärt Dr. Baldur Martin auf. Der Ortschronist kennt in Werder jeden Baum und fast jede Familie. Er hat die spannende bis in die DDR-Ära reichende Erfolgsgeschichte recherchiert und aufgeschrieben. „Maiblumen sehen schön aus und duften toll. Aber natürlich sind Maiblumen im Mai nichts besonderes. Also kam man in Werder auf die Idee, die Uhr der Natur anders zu stellen. Was heute mit Züchtungen und genetischen Manipulationen passiert, wurde damals mit ausgeklügelter Technik erreicht.“ Gärtner Rudolf Trenner aus der Eisenbahnstraße galt lange Zeit als „Maiblumenkönig“. Er und andere Werderaner, die sich auf die „Frühtreiberei“ spezialisiert hatten, wie etwa Fritz Mai oder Wilhelm Trübe, konnten sogar in die USA exportieren. Dadurch hatten sie während der kargen Inflationsjahre harte Dollars, während die Reichsmark selbst in Millionen-Bündelung, nichts wert war. Schlüssel des Erfolgs war eine Schocktherapie: Am 25./26. November kamen die Treibkeime für exakt 20 Stunden in genau 34 Grad heißes Wasser. Pünktlich zum 15. Dezember kam es zur Blüte – sehr praktisch für die Weihnachts-Tischdekoration. Außerdem fanden die pfiffigen Werderaner heraus, dass mit dem Verlauf der natürlichen Uhr nur die Brühtemperatur gesenkt werden musste: Anfang Januar genügten 29 Grad Wassertemperatur und im Februar mussten die Keime erst mal einen Kälteschock in der Gefriertruhe überstehen! Als Rudolf Trenner per Zufall noch herausfand, dass sich die Keimlinge trefflich einfrieren und dann treiben ließen, gab es plötzlich das ganze Jahr über duftende Maiglöckchen: Für die ganze Welt, und natürlich aus Werder! Heute kommen Schnittblumen vielfach aus Holland. Und in gewisser Weise ist dies wiederum den Werderanern zu verdanken. Denn Bruno Trenner, der Enkel des Maiblumenkönigs, brachte das Fachwissen der Familie in die „Gartenbauproduktionsgenossenschaft“, kurz GPG, „Pomona“ ein, in der die Obstbauern zu DDR-Zeiten zusammengefasst waren. Und die damals erzeugten Werderaner Maiblumen gingen ausgerechnet nach – Holland! „Heute erinnern nur wenige wild wachsende Maiblumen an diese Tradition. Denn die DDR sah damals keinen Sinn, den aufwändigen Zweig der Gartenproduktion weiter zu betreiben,“ bedauert Dr. Baldur Martin.

Gleichmäßige Keime bringen einheitliche Blütenqualität bei Maiblumen.

Dr. Baldur Martin hat Werders Geschichte fest im Griff.

Es handelt sich hier um einen Archiv-Eintrag.
Die Informationen, Daten und Bilder sind möglicherweise veraltet und nicht mehr aktuell.


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