100 Jahre Volkshaus

Schwimmen, Fitness, Sauna-Spass

Wildaus Bekanntheitsgrad in der
Region basierte lange Jahre auf zwei Säulen: Harte Arbeit und rauschende Feste. Für letztere war das Volkshaus ein Synonym. Dieses Jahr feiert das Gebäude den 100. Geburtstag. Irmgard Hornung hat wie die meisten Wildauer ihre eigenen Erinnerungen an das Volkshaus. Die Belzigerin kam vor 50 Jahren als Lehrerin an die Polytechnische Oberschule in Zeuthen und ließ sich in Wildau nieder. Noch heute lebt sie in der Schwartzkopffsiedlung in einem der historischen Häuser, von wo aus man mit einem Blick ins Werk sehen kann.

Wohnung seit 1912
„Opa bekam 1912 diese Wohnung“, erinnert sich die Ortschronistin. Natürlich arbeitete der Opa bei „Schwartzkopff“. Noch immer hat sie vom Fenster aus den besten Blick auf die stattliche Dampflokomotive, die auf dem heutigen TFH-Gelände an die industrielle Tradition erinnert. „Irgendwie muss es der Name des Berliner Industriellen Louis Schwartzkopff den Wildauern angetan haben. Mir fiel schon damals, als ich neu nach Wildau kam, auf, dass alle immer von ‚Schwartzkopff‘ sprachen, wenn sie den VEB Schwermaschinenbau Heinrich Rau meinten. Das wäre ja noch nachvollziehbar gewesen, wenn Schwartzkopff irgendwann etwas mit Wildau zu tun gehabt hätte. Doch das war nie der Fall“, haben die Ortschronisten um Irmgard Hornung, Gisela Rogatzki, Rosemarie Rzezack, Udo Bohm, Harry Pech und Dr. Roland Vetter herausgefunden.

Rätsel um Witthöft
Tatsächlich ist das neue Wildau mit der Siedlung um die Industrieansiedlung auf der Grünen Wiese einem ganz anderen Mann zu verdanken: „Der eigentliche Bauherr von Wildau war Ludwig Witthöft. Ihm haben wir auch zu verdanken, dass das Volkshaus viel jünger ist, als viele andere Gebäude!“ Lange Zeit war das vergessen. Fast wäre die Nachwelt Opfer einer systematischen Geschichtsklitterung geworden, wenn sich nicht Wildaus Ortschronisten und parallel der Ingenieursverein mit dem Thema befasst hätten. Die Realschule begann sich für das Thema zu interessieren, es folgte eine intensive Suche nach den Spuren von Ludwig Witthöft. Eines der Ergebnisse ist, dass sich der fast vergessene Vater des modernen Wildau nun im Namen der Schule wiederfindet, die seit 2005 offiziell „Ludwig Witthöft Oberschule“ heißt.

Shooting-Star mit 33 Jahren
Louis Schwartzkopff war bereits 1892 mit 67 Jahren gestorben. Als im September 1900 die Produktion in Wildau begann, geschah dies unter der Regie der BMAG, der Berliner Maschinenbau
Aktiengesellschaft. Witthöft war wohl so etwas wie der Shooting-Star des Unternehmens. Er wurde 1862 in Frankfurt am Main geboren und kam 1895 „zu Studienzwecken“ zur BMAG nach Berlin. Die Chefs fanden an dem erst 33 Jahre jungen Baufachmann wohl schnell Gefallen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass sie ihm nach nur kurzer Zeit das aufsehenserregende Projekt einer völlig neuen Fabrik auf der Grünen Wiese anvertrauten! „Ludwig Witthöft war ab 1897 Oberbauleiter der entstehenden Lokomotivfabrik und bald auch der sogenannten Arbeiter-Kolonie, heute fälschlich als Schwartzkopff-Siedlung bezeichnet“, so Dr. Roland Vetter vom Wildauer Chronisten-Team.

Kometenhafter Aufstieg
Der kometenhafte Aufstieg ging unvermindert weiter: Als die BMAG 1900 ihr neues Werk in Wildau eröffnete, war Ludwig Witthöft als Werkleiter und Prokurist mit einer unglaublichen Machtfülle ausgestattet. Sein jäher Sturz erfolgte ausgerechnet mit der Einweihung des Casinos, des heutigen Volkshauses. Das hatte er selbst kaum vorhergesehen, denn im selben Schicksalsjahr 1906 hatte Witthöft sein eigenes Haus in Berlin-Bohnsdorf geplant, das heute unter Denkmalschutz steht. Doch einziehen konnte er dort erst Jahre später, nach einer beruflichen Zwischenstation als Werksdirektor bei Henschel in Kassel. Erst danach zog er ins Berliner Eigenheim. 1937 verstarb er im Krankenhaus Köpenick und wurde seinem Wunsch entsprechend auf dem Friedhof in Hoherlehme bestattet. Doch was
führte dazu, dass der Erbauer von Wildau ab 1906 offiziell „persona non grata“ war und von der BMAG systematisch totgeschwiegen wurde?

Witthöfts Geheimnis
Irmgard Hornung und die Wildauer Ortschronisten sind dieser Frage nachgegangen – und bei Louis Schwartzkopff gelandet. „Aus Recherchen wissen wir, dass der Unternehmer für damalige Zeiten sehr sozial eingestellt war. So gehörte es bei ihm zum guten Ton, dass er zum Jahreswechsel durch das Werk in der Berliner Chausseestraße ging und jedem Mitarbeiter, auch dem kleinsten Arbeiter, persönlich Glückwünsche fürs neue Jahr aussprach. Das war damals unüblich. Als Fabrikbesitzer vermied man schon aus Standesgründen den direkten
Kontakt mit den Arbeitern.
Offenbar war das Betriebsklima dort besonders gut, denn der Anteil des Stammpersonals war sehr groß.“
Hilfskasse für die Arbeiter Persönliche Not konnte dennoch schnell eintreten. „Um hier das Schlimmste zu vermeiden, initiierte Schwartzkopff eine ‚Kasse der gegenseitigen Hilfe‘. Seine soziale Grundhaltung wurde offenbar von Schwiegersohn Emil Kaselowsky weiterverfolgt, der allerdings bereits 1900 verstarb.“ Offenbar, so die Vermutung der Ortschronisten, hatte sich Ludwig Witthöft dieser Linie ebenfalls verpflichtet gesehen.

Zuerst die Schule
So erklärt sich, dass rund um das neue Werk statt einfacher Baracken moderne und komfortable Häuser in solider Steinbauweise und mit zeitgemäßem Komfort entstanden. „Bezeichnend ist, dass die Schule zu den ersten Gebäuden, die gebaut wurden, zählte. Dagegen entstand das Casino für die ‚Manager‘ erst sechs Jahre später“, so Irmgard Hornung.
Familientreffen Ludwig Witthöft hinterließ keine Nachkommen. „Viel geholfen bei den Nachforschungen hat uns der Kontakt zu Doda Schwartzkopff, einer Urenkelin von Louis Schwartzkopff“, so Irmgard Hornung. Sie freut sich, dass das diesjährige Familientreffen der Schwarzkopffs in Wildau stattfinden wird, in Verbindung zum hundersten Geburtstag des Volkshauses.

Infos Tel. 0 33 75/50 08 66

Zum 100. Geburtstag des Volkshauses haben die Chronisten um Irmgard Hornung nochmals in den Annalen geforscht.

Die Chronisten sind dem Rätsel um Ludwig Witthöft näher gekommen.

Ludwig Witthöft dachte erst an die Arbeiter, dann an die Chefs. So entstand das Casino erst 1906.



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